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Israel / Palästina - Nahostkonflikt (7)

Hintergrundinformationen, Dokumente und Links zur Geschichte Palästinas und Israels       Update 3.12.2023

Auf dieser Seite:
7. Der Nahostkonflikt nach dem israelischen Rückzug aus Gaza 2005 bis heute - Chronologie
7a) Gaza-Konflikt im Überblick >hier
7b) Die Entwicklung des Siedlungsbaus in der Ära Netanyahu >hier



Auf den vorherigen Seiten:
1.  Startseite: Links zu Seiten im Internet und bibliographische Hinweise zu Büchern >hier

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Spektroradiometrisches
Satellitenbild des Nahen Osten
mit den eingezeichneten Grenzen
von 1949.

Wikimedia Commons

2. Daten zur Geschichte Jerusalems, des Alten Israel und der Provinz Palästina vom Altertum zum Osmanischen Reich (bis 1914) >hier

3. Palästina vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg >hier
a) Chronologie,
b) Inhaltliche Ergänzungen: Sykes-Picot-Abkommen, Balfour-Deklaration / Britisches Mandat / 2. Weltkrieg

4. Nach dem Zweiten Weltkrieg: UN-Teilungsplan, Gründung Israels und die Folgen bis nach dem Sechstagekrieg >hier
a) Chronologie
b) Inhaltliche Ergänzungen: Unabhängigkeitskrieg / 1948/1967: Kampf um Jerusalem / Sechstagekrieg: Präventivkrieg oder Expansionskrieg?

5. Der Nahe Osten seit dem Sechstagekrieg bis zur Ermordung Rabins 1995  >hier
a) Chronologie
b) Inhaltliche Ergänzung: Situation nach dem Sechstagekrieg und Entwicklung der Siedlungsbewegung

6. Der Nahostkonflikt von der Ermordung Rabins bis zum israelischen Rückzug aus Gaza 2005 >hier

 

7. Der Nahostkonflikt nach dem israelischen Rückzug aus Gaza 2005 bis heute

 

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6. Der Nahostkonflikt von der Ermordung Rabins bis zum israelischen Rückzug aus Gaza 2005
 

2006
-2008

Knesset-
Wahl
2006

 

 

 

 

 

2.
Libanon-
krieg

 

 

 

 

 

 

Olmert-
Plan

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Olmerts Friedensplan.
Die aus der Spaltung des Likud über die Frage des Rückzugs aus Gaza hervorgegangene neue Partei Kadima erzielt bei der Knesset-Wahl am 28.3.2006 einen angesichts der politischen Konstellation überragenden Sieg mit 22,02% und 29 Sitzen, gegenüber 15,08% und 19 Sitzen für die Arbeitspartei und nur 8,99% und 12 Sitzen für den Likud, der jetzt wieder von Benyamin Netanyahu geführt wird.
Ministerpräsident Ehud Olmert gelingt eine Koalition mit der Arbeitspartei, der sephardischen Shas und einer ephemeren kleinen liberalen Partei. Ziel Olmerts und seiner Partei ist es, die Idee der Sicherheit durch territoriale Trennung zwischen Israelis und Palästinensern, also in abgewandelter Form den Plan des Osloer Friedensabkommens, fortzuführen.

In den Erklärungen zu seinen politischen Zielen geht Olmert schon im Wahlkampf und zu Beginn seiner Amtszeit sehr weit, v.a. für einen ehemals konservativen Politiker, indem er die Idee der Trennung zwischen Israelis und Palästinensern fortführt und für Frieden und Sicherheit die Aufgabe von Siedlungen im Westjordanland mit 240.000 Siedlern einkalkuliert. Dafür soll der Streifen mit jüdischen Siedlungen im Grenzgebiet diesseits des Grenzzauns zu Israel kommen.
Störfeuer gegen diese neue Friedensinitiative kommt von der Hizbollah im Süd-Libanon, die, ausgerüstet von Syrien und dem Iran, seit Sommer 2006 Ziele in Nordisrael beschießt, was zum 2. Libanonkrieg von 17.7.-14.8.2006 führt. Die israelische Öffentlichkeit, die zu 90% die Militärintervention begrüßt, wird zunehmend enttäuscht, dass die angestrebten Ziele der Ausschaltung der Hizbollah aus dem Süden Libanons nicht gelingt und der dann geschlossene Waffenstillstand keine dauerhafte Lösung darstellt. Ministerpräsident Olmert werden für Fehler in der taktischen Vorbereitung der Intervention vorgeworfen, auch von seiner Außenministerin Tzipi Livni. Um den sinkenden Umfragewerten für die Regierung entgegenzusteuern, holt Olmert die Nationalisten von Jisra’el Beitenu (Israel unser Haus) unter Avigdor Lieberman in die Regierung. Nach Beendigung der Kampfhandlungen kann Israel nicht den erwünschten Sieg für sich verbuchen. Das Dilemma des asymmetrischen Krieges zeigt sich hier wie auch mehrfach später noch bis heute.

Trotz Störfeuer von allen Seiten hält Olmert jedoch an seinem Konvergenz- oder Olmert-Plan fest, der 2008 konkretisiert wird. Darin ist vorgesehen, dass sich Israel nicht einfach nur die Zone mit jüdischen Siedlungen diesseits des Grenzzauns einverleibt (blau in der Karte), sondern im Gegenzug Grenzgebiete mit arabischer Bevölkerung an Palästina abtritt (rot in der Karte). Die jenseits der Grenzmauer existierenden Siedlungen wären unter palästinensische Herrschaft gekommen und hätten wohl geräumt werden müssen. Das hätte - die Zahlenangaben sind unterschiedlich - wohl 70.000 von geschätzten 250.000 Siedlern betroffen (Wikipedia >Siedlungen gibt aber 282.400 Siedler 2006 an). Jerusalem könnte für Olmert Hauptstadt beider Staaten sein, Details bleiben wie so oft unklar, doch soll das arabisch bewohnte Ost-Jersualem (also ohne die neu gegründeten jüdische bewohnten Teile) zur palästinensischen Hauptstadt werden, ohne die Altstadt Jerusalems bis zum Ölberg inkl., darüber sollte eine neutrale Verwaltung eingerichtet werden.. Klar ist, dass Olmert “in seinen Angeboten deutlich über Baraks Offerten von 2000/2001 hinausging.” (Asseburg,. S. 201). Auf der anderen Seite will Olmert allerdings eine Kontrolle über das Jordanufer behalten, ähnlich wie seinerzeit (1967) schon im Allon-Plan (siehe >Naher Osten5) vorgesehen. Von palästinensischer Seite wird darin mehr die Hoheit über die Wasservorkommen als das wirkliche Motiv gesehen.

Der Plan von 2008 ist jedoch schon  Resultat von Vorverhandlungen mit dem Palästinenserpräsidenten Abbas seit 2007, der die Entwaffnung der palästinensischen Milizen einschl. der Al-Aqsa-Brigaden anordnete und “den palästinensischen Sicherheitssektor unter Anleitung der CIA zu reformieren” begonnen hat (Asseburg, S. 203).  Israel ließ dagegen Hunderte palästinensischer Gefangener frei. Unter der Ägide von US-Präsident George W. Bush kommt es am 27.11.2007 wieder zu einem Gipfeltreffen in den USA in Annapolis, wo die Entscheidung fallen soll. Beide Seiten einigen sich auf die Grundzüge des Olmert-Plans und versprechen, die Road Map für die Zweistaatenlösung in der nächsten Zeit zu konkretisieren.
Die Verhandlungen sind jedoch von Misstrauen gekennzeichnet, palästinensische Gegner unter dem Einfluss der Hamas - dazu gleich unten - wollen sie mit gewalttätigen Aktionen im Westjordanland torpedieren und Ehud Barak, unter Olmert Verteidigungsminister, spricht schon von einem bevorstehenden militärischen Großeinsatz.

Kadima >Wikipedia
Ehud Olmert >Wikipedia
6. Libanonkrieg >Wikipedia
Hisbollah >Wikipedia
Tzipi Livni >Wikipedia
Jisra’el Beitenu >Wikipedia
Avigdor Lieberman >Wikipedia


Olmert_Friedensplan
Konvergenz-Plan >Wikipedia

Die blauen Flächen sollten zu Israel kommen, die roten an Paöästina

Vgl. auch:
Friedensplan 2008: Olmert bot Abbas mehr als 100% der Westbank an, Stefan Frank, 23.4.2019 >Mena-Watch
Ehud Omert’s “convergence plan”, Angela Godfrey-Goldsein, 29.5.2009 >The Electronic Intifada
Ehud Olmert’s “convergence plan”, Palestine, > Indybay Volunteers
Hand-drwan map shows what Olmert offered for peace, Stuart Winer, 23.5.2013 >The Times of Israel

Annapolis Koinvderenz  >Wikipedia
Vereinbarung von Annapolis (engl.) >Wikisource

Muriel Asseburg: Palästina und die Palästinenser. Eine Geschichte von der Nakba bis zur Gegenwart. München: C.H. Beck, 2021.

Rice_Olmert_Abbas_2007

Ehud Olmert, die US-Außernministerin Condoleeza Rice und Mahmud Abbas am 19.2.2007 in Jerusalem >Wikipedia
 

 

2007- 2008

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kampf
zwischen
Fatah und
Hamas

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Errichtung der Herrschaft der Hamas in Gaza
Nach dem israelischen Rückzug aus dem Gazastreifen wird am 25.1.2006 eine allgemeine Wahl des Palästinensischen Legislativrats (= des Parlaments) im Gazastreifen und im Westjordanland durchgeführt. Wie sich in den vorangegangenen Kommunalwahlen schon angedeutet hat, erringt die Hamas einen großen Sieg mit 74 Sitzen gegenüber 45 für die Fatah des bisherigen Präsidenten Abbas bei 132 Sitzen insgesamt, kleinere Parteien erreichen zusammen 13 Sitze, darunter 6 Sitze, die für die christliche Minderheit reserviert sind. Dies ist jedoch auch dem Wahlrecht geschuldet, das zur Hälfte aus Mehrheitswahl und Verhältniswahl besteht, ein Kompromiss auf die langjährige Forderung nach dem Verhältniswahlrecht hin. Die Mischung verhinderte, dass die Hamas noch mehr Sitze bekam, prozentual liegt die Hamas mit 44,45% nur wenig vor der Fatah mit 42,43%. Die Hamas hat ihren Wahlkampf mit einer uneingeschränkten Propaganda gegen die Existenz Israels, bewaffneten Widerstand gegen die Besatzung, für den Islam als einzige Religion und die Scharia für Palästina geführt. Es kommt zunächst zu einer Koalitionsregierung zwischen beiden unter Premierminister Ismael Haniyeh (oder Haniya) am 29.3., obwohl die Hamas die Mehrheit der Sitze hat. Sie hatte schon im Wahlkampf für diesen Fall eine Zusammenarbeit mit Abbas angekündigt und damit taktisch geschickt wohl etlichen Wählern die Skrupel genommen, sie zu wählen. Einer Umfrage zufolge wenden sich die Wähler von der Korruption von der Fatah ab, die seit 15 Jahren die Palästinensische Autonomiebehörde unter sich hat, und hoffen von der Hamas eine Mäßigung und eine Fortsetzung des Friedensprozesses (Umfrage 16.-18.3.2006) PCPSR Palestinian Center für Policy and Survey Research).

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang noch, dass Israel der arabischen Bevölkerung Ost-Jerusalems die Teilnahme an der Wahl gestattet und nur Kandidaturen der Hamas verbietet. Jerusalem hat 6 Wahlkreise, davon 2 für Christen reserviert. Darüber hinaus behindert Israel die Wahl für die Hamas. indem viele Hamas-Politiker, die auch Kandidaten sind, wegen Terrorvorwürfen festgenommen werden. Eine Maßnahme, die letztlich aber wohl kontraproduktiv war. Olmert schreibt in seinen Memoiren, dass die US-Regierung unter George W. Bush darauf bestand, die Hamas an den Wahlen teilnehmen zu lassen, um den demokratischen Charakter der Wahlen nicht zu diskreditieren (Olmert, S. 278).

Unter der Koalitionsregierung “der nationalen Einheit” verschärfen sich die Konflikte vor Ort, auf die Entführung des Soldaten Gilad Shalit am 29.6.2006, die noch jahrelang ein riesiges Politikum sein sollte, gab es Militäraktionen in Gaza und Verhaftungen von Hamas-Politikern, auch Regierungsmitgliedern. Entsprechend nehmen die Spannungen zwischen Fatah und Hamas zu und eskalieren am 15.12.2006 zu bewaffneten Kämpfen zwischen beiden Organisationen. Im Februar kommt es zu einem vorübergehenden Waffenstillstand, doch die bewaffneten Kämpfe flammen im Mai 2007 im Gaza-Streifen wieder auf und münden in den Kampf um die Kontrolle über den Gaza-Streifen. Ziel der Hamas und der mit ihr verbündeten Gruppen ist die Herrschaft der Hamas über Gaza und sie erreicht es auch. Im Juni zeigen die Umfragen des PCPSR einen Einbruch bei der Zustimmung zur Hamas, die sich in einer Dreiviertelmehrheit für Neuwahlen ausdrückt (Umfrage vom 14.-20.6.2006)
Am 14.6.2007 wird daher die Koalitionsregierung, die längst keine mehr ist, von Präsident Abbas abgesetzt und die Fatah sichert sich die Macht im Westjordanland. Der Hamas wird vorgeworfen, auf Betreiben des Iran zu agieren und einen Putsch in Gaza durchgeführt zu haben, auch der ägyptische Präsident Mubarak schließt sich diesen Vorwürfen an, er selbst steht zu diesem Zeitpunkt unter Druck durch die Muslimbruderschaft in Ägypten, die, halb geduldet, dort 2005 bei der Parlamentswahl 88 Sitze im Parlament erreichte. Aus den Muslimbrüdern heraus war auch 1988 die Hamas gegründet worden.  Wohl auf eine Bitte von Abbas hin unterstützt Israel nun die Ausschaltung der Hamas im Westjordanland. Olmert schreibt, dass Abbas ihm persönlich mitteilte, wie viele Attentate auf ihn bereits verhindert werden konnten (Olmert, S. 279f.).
Damit war die Spaltung zwischen Westjordanland und Gaza vollzogen. Israel erklärt den Gazastreifen zu feindlichem Gebiet und schottet die Grenze zu Israel ab. Olmert wurde sich bewusst, schreibt er rückblickend, dass der Rückzug aus Gaza fatal gewesen war:

    “Ich wusste, dass der Zeitpunkt kommen würde, wo Israel eine Bodenoffensive in Gaza durchführen müsste. [...] Später, im Dezember 2008, am Ende meiner Amtszeit als Premierminister sollte dieser Tag letztlich kommen.” (Olmert, S. 280). Diese Situation prägt den Konflikt bis heute.
     

 

Palestine legislative lection (engl.) >Wikipedia

 

 

 

 

 

 

Ismael Haniyya >Wikipedia
Mahmud Abbas >Wikipedia

 

 


Palestinian Center für Policy and Survey Research, Palestinian >Public Opiniion Poll No. 19 (16-18 March 2006)

 

 

 

 

 

 


Fatah >Wikipedia
Fatah-Hamas-Konflikt >Wikipedia
Kampf um Gaza Juni 2007 >Wikipedia
Palestinian Center für Policy and Survey Research, Palestinian >Public Opiniion Poll No. 24 (14-20 June 2006)

Gazastreifen >Wikipedia
Hamas >Wikipedia

 

 

 

 

 

 

 

 

Ehud Olmert:  Searching fpr Peace. A Memoir of Israel. Washington: Brookings, 2022.

 

2008-2009

 

 

 

Knesset
Neuwahl

 

 

 

 

 

 

 

 

Neue Regierungskrise in Israel. Im Sommer intensivieren sich Korruptionsvorwürfe gegen Ehud Olmert aus seiner Zeit als Jerusalemer Bürgermeister, die ihn zum Rücktritt von Parteivorsitz und als Ministerpräsident zwingen. Später sollte er durch ein Gericht zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden. Nach dem krankheitsbedingten vorzeitigen Ausscheiden Sharons ist damit der zweite vehemente Vertreter einer neuen Politik aus dem Rennen. Am 17.9. wird Außenministerin Tzipi Livni neue Parteivorsitzende, eine neue Regierungskoallition kann sie jedoch nicht auf die Beine stellen, so dass für den 10.2.2009 Neuwahlen ausgerufen werden.
Der Wahlkampf findet in einer für die Kadima äußerst nachteiligen Situation statt. Zur inneren Schwächung kommt der Gazakrieg vom Dezember, der die Friedenspolitik konterkariert, trotz der Spaltung der Palästinenser zwischen Gaza und Westbank. Wider Ertwarten bleibt Kadima jedoch stärkste Partei mit 22,47% und 28 Sitzen, aber knapp gefolgt vom Likud mit 21,61% und 27 Sitzen. Dahinter folgen ultrareligiöse Pareien und die nationalistische Partei von Liebermann (zusammen 34,58%,, 35 Sitze). Neben der Gil, die nicht mehr in der Knesset vertreten ist, ist die Arbeitspartei Awoda Verlierer mit 9,93% und 13 Sitzen), es ist der Beginn des Niedergangs der einst großen Partei, die Israel begründet hat, und hier auch das Ende einer Mehrheitsbildung für Kaidma.  Hinter ihr folgen eine Reihe von Kleinparteien unter 4%. Die Zersplitterung der Knesset schreitet voran auf insgesamt 12 Parteien.
Benjamin Netanyahu vom Likud gelingt am 31.3.2009 eine breite Koalition mit religiösen und rechten Kleinparteien sowie der Arbeitspartei unter Ehud Barak, der Verteidigungsminister bleiben soll. Dies führt zu einer schweren Zerreißprobe in der Awoda. Barak kann mit Netanyahu immer die Einhaltung der geschlossenen Verträge aushandeln, doch was bedeutet das konkret? Palästinenserpräsident forderte für weitere Verhandlungen einen Siedlungsstopp.
Die Wahl wird somit zu einem großen Sieg für Benyamin Netanyahu, der in unterschiedlichen Koalitionen bis zum 13.6.2021 Ministerpräsident bleiben wird.
 

 

1. Gaza-
Krieg

 

 

 

 

 

 

 

 

Der erste Gazakrieg beginnt am 27.12.2008. Mit der “Operation Gegossenes Blei” -eine Anspielung auf eine Brauch zu Chanukka wie bei uns das Bleigießen an Silvester - reagiert Israel auf seit Monaten sich intensivierenden Beschuss durch Raketen aus Gaza. Schon damals wird. Auf Luftangriffe auf Stellungen der Hamas, die sich auch in oder in unmittelbare Nähe von zivilen Gebäuden befinden und entsprechend zivile Opfer fordern. Gegen internationale Appelle zum Waffenstillstand kommt es am 3.1.2009 zur Bodenoffensive, die von Gefrechtspausen zur humanitären Versorung unterbrochen sind. Israel versucht durch Warnungen mittels Flugblättern und anderen Medien, die betroffenen Einwohner zu warnen.
Am 18.1.2009 wird ein Waffenstillstand geschlossen. Das Ziel der Zerstörung der militärischen Infrastruktur der Hamas und deren organisatorische und politische Schwächung, wie sich Außenministerin Tzipi Livni vorsichtiger ausdrückt, ist nicht vollständig erreicht worden. Nicht einmal die unterirdischen Tunnel nach Ägypten sind gänzlich zerstört worden, so dass die Hamas nach dem Waffenstillstand mit der Wiederaufrüstung beginnen kann.

Der erste Gaza-Krieg bringt auch die ersten antisemitischen Demonstrationen mit Bezug auf den Nahen Osten hervor, in denen die Verurteilung Israels mit Parolen bis hin zu Vernichtungsphantasien gegenüber Juden propagiert werden. Dagegen finden aber auch Solidaritätsdemonstrationen mit israel statt.

Einige Zeit nach Ende des 1. Gazakrieges nimmt die Hamas in Gaza wieder den Beschuss Israels mit Raketen auf, die Israel mit Lufangriffen bekämpft. Am 21.11. tritt ein international vermittelter Waffenstillstand in Kraft, der wie später weitere nur eine Atempause darstellt.

Operation Gegossenes Blei >Wikipedia

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2010-2014

 

 

Arabischer
Frühling” in
Palästina

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Neuer
Konflikt mit
Hamas in
Gaza

 

 

Soziale
Proteste
in Israel

 

 

 

 

Knesset
Neuwahl
2013

 

 

 

Der Arabische Frühling und seine Folgen bringt ab 2010/11 das nahöstliche Gleichgewicht ins Schwanken, mit der Machtübernahme durch die Muslimbrüder in Ägypten nach der ersten demokratischen Wahl seit Jahrzehnten, der Entstehung des “Islamischen Staates” im Irak und in Syrien und der Stärkung der vom Iran unterstützten Hizbollah im Libanon - alles israelfeindliche Kräfte.

Auch in Palästina hat die Arabellion gegen autoritäre arabische Regime in den Nachbarstaaten Wirkungen. Es bildet sich vorübergehend eine neue zivile Protestbewegung heraus, deren Zielrichtung gegen die eigenen Regierungen in Gaza und in Ramallah jedoch rasch unterdrückt wird: “Als im Januar und Februar 2011 in Ägypten Proteste gegen das Mubarak-Regime zunahmen, schlugen sowohl die Hamas im Gaza-Streifen als auch die PA im Westjordanland Solidaritätsdemonstrationen mit den ägyptischen Protesten gewaltsam nieder.” (Asseburg/Busse, S. 95f.). So richtet sich dieser Ansatz einer erhofften Volksbewegung gewaltlosen Widerstands (vgl. Deutsche Welle, 7.3.2012) auf die Versöhnung zwischen Fatah und Hamas und die Bildung einer gemeinsamen Regierung. Dies gilt als die Voraussetzung für einen erfolgreichen Widerstand gegen die israelische Besatzungspolitik. Im Ausland, in Doha und in Kairo, finden Gespräche zwischen den beiden Führungen statt und ergeben eine Vereinbarung über die erneute Bildung einer gemeinsamen Regierung, in der Präsident Abbas auch das Amt des Regierungschefs übernehmen soll. Dafür hätte die Hamas den bewaffneten Widerstand aufgeben müssen und die Autorität von Abbas akzeptieren müssen, doch palästinensische Intellektuelle setzten jetzt große Hoffnung auf diesen Schritt (vgl. Deutsche Welle). Gibt es einen Wandel der Hamas? (vgl. DW 29.2.2012).
Einen spektakulären Erfolg kann Hamas im Oktober 2011 verbuchen, als die den seit Jahren als Geißel gefangenen Soldaten Gilad Shalit gegen die Freilassung von ca. 1027 (!) inhaftieren palästinensischen Häftlingen austauschen kann. Der Fall Shalit hatte sich in Israel zu einem riesigen Politikum entwickelt.
Das hat auch noch Folgewirkungen: Einer der Freigelassenen ermordet 2014 drei isralische Jugendliche (siehe unten). Ein anderer ist seit 2017 Chef der Hamas in Gaza und 2023 der Hauptverantwortliche für den Pogrom vom 7.10.23 an 1200 Israelis, die Entführungen und den gegen Israel entfrachten Krieg: Jahia Sinwar.
Am Ende wollen weder Hamas noch Fatah ihre Macht aufgeben, außerdem hat Israel seinen Einspruch gegen die Präsenz der Hamas im Westjordanland geltend gemacht. Der “Arafat-Moment”, wie während in der ersten Intifada den bewaffneten Kampf angesichts der zivilen Protestbewegung aufzugeben, wird verpasst (cf. Asseburg/Busse, S. 96f. / Asseburg, S. 209f.).
Die folgenlosen Verhandlungen zwischen Hamas und Fatah werden, wie fast immer bei wichtigen Ereignissen, von Raketenangriffen aus Gaza auf Israel im März 2012 begleitet, die sich mit Unterbrechungen bis zum 21.11.20212 hinziehen. Erstmals kann Israel seine Raketenabwehr Iron Dome einsetzen (Operation Wolkensäule)..

In Israel bringen die Phasen vorläufiger und sehr relativer Entspannung im Verhältnis zu den Palästinensern  die tiefgreifenden sozialen Probleme, auch Folge der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2008, auf die Tagesordnung. Im Sommer 2011 gibt es Demonstrationen bis zu 150.000 Menschen gegen die sozialen Missstände. Die Linke kann den Protest gegen die Verarmung und die Wohnungssituation nicht auffangen, stattdessen gelingt 2012 wieder eine Parteineugründung durch den ehemaligen TV-Journalisten Jair Lapid mit seiner bürgerlich-liberalen Partei Jesch Atid (“Es gibt eine Zukunft”). Die neue Partei der Mitte ersetzt de facto Kadima, die aus inneren Konflikten und fehlender politischer Perspektive bei der nächsten Knessetwahl in die Bedeutungslosigkeit rutscht mit 2 Sitzen, die Abspaltung Ha-Tnu’a (Die Bewegung) mit Tzipi Livni an der Spitze erreicht 6 Sitze.

Bei der Parlamentswahl am 22.1.2013 erreicht das Bündnis aus Likud und Jisrael Beitenu 23,34% (-9,99%) 31 Sitze, Jesch Atid kommt auf Anhieb auf 14,33% und 19 Sitze, Awoda gewinnt wieder leicht dazu mit 11,39% und 15 Sitzen Ebenfalls neu zieht eine neue nationalreligiöse Partei HaBajit haJedudi (“Jüdisches Heim”),  auch als “Siedlerpartei” bekannt, unter Naftali Bennett ein, einem Likud-Abtrünnigen, mit 9,12% und 12 Sitzen. Netanyahu gelingt eine heterogene Koalition unter Einbeziehung der liberal-säkularen Partei von Jair Lapid und den Nationalreligiösen von Naftali Bennet. Erstmal ohne eine strengreligiöse Partei kann die neue Regierung die Freistellung der Ultraorthodoxen vom Militärdienst aufheben, eine Forderung des liberal-säkularen Lapid.
 

 

 

 

 

PA = Palestinian Authority

Muriel Asseburg / Jan Busse: Der Nahostkonflikt. Geschichte, Positionen, Perspektiven. München: C.H. Beck (Beck Wissen) 2016.

Im Schatten des Frühlings, 7.3.2012 >Deutsche Welle
Wandel der Hamas , 29.32.2012
>Deutsche Wellle

 

 

 

 

Gilad Schalit >Wikipedia

 

 

Israelische Ärzte retteten Hamas-Chef einst dasd Leben...[Jahia Sinwar] >Frankfurter Rundschau

 

Muriel Asseburg: Palästina und die Palästinenser. Eine Geschichte von der Nakba bis zur Gegenwart. München: C.H. Beck, 2021.

 

Operation Wolkensäule >Wikipedia

 

 

 

 

Jesch Atid >Wikipedia
Jair Lapid >Wikipedia

 

 

 

 

Naftali Bennett >Wikipedia
HaBajit haJedhudi >Wikedia

 

 

 

 

2014

 

Gaza-Krieg
2014

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Im Sommer 2014 beginnen die Hamas (die Qassam-Brigaden) und die mir ihr verbündeten Gruppen wie der Islamische Djihad wieder mit dem Raketenbeschuss aus dem Gaza-Streifen. Auslöser ist eine Entführung von drei israelischen Jugendlichen im Westjordanland am 12.6.2014, wo Hamas-Mitglieder immer noch im Untergrund aktiv sind. Bei der Suche nach den Entführten kommt es zu weiteren Zwischenfällen mit Toten. Die regionale Führungsriege der Hamas in der Legalität, z.T. vorher erst Freigelassene, werden verhaftet. Die entführten Jugendlichen werden am 30.6. nördlich von Hebron tot aufgefunden. Ein Hamas-Führer gibt später deren Ermordung durch Hamas-Mitglieder zu, streitet aber die Verantwortung der Führung dafür ab  (taz, 23.8.2014). Der Täter kann gefasst werden, es handelt sich um einen der 2011 gegen Gilad Shalit Entlassenen.
Als Antwort auf das Vorgehen Israels wird der Beschuss israelischen Gebietes mit Qassam-Raketen wieder aufgenommen. Es kommt zu einem neuen Gaza-Krieg, diesmal heftiger als in den vorherigen Konflikten, vom 8.7. bis 26.8.2014 (Operation Protective Edge).
Hintergrund der Situation ist auch, dass die Hamas durch den Sturz der Muslimbrüder in Ägypten und den syrischen Bürgerkrieg wichtige Unterstützer verloren hat und auf dieser Weise durch einen neuen kriegerischen Konflikt mit Israel neue internationale Unterstützung gewinnen will (vgl. Schliwski, S. 179).
Zuerst fliegt israelische Luftwaffe Angriffe auf Ziele in Gaza, wo Stellungen der Hamas erkannt oder vermutet werden, darunter auch Lager für Raketen und Abschussrampen in Schulgebäuden u,ä. öffentlichen Einrichtungen, wie sie z.T. auch von UN-Vertretern vor Ort entdeckt werden, z.T. sogar unter UN-Gebäuden (Wikpedia). Nach einer Feuerpause beginnt am 17.7. die Bodenoffensive, die erste seit 2006, die gezielt die Tunnelsysteme der Hamas zerstören soll. Die Ausweitung der Operationen führt zu immer mehr zivilen Opfern, da die militärischen Ziele mitten im bewohnten Gebiet liegen. DAs Ausmaß des Tunnelsystems wird erst im Laufe der Zeit klar. U.a. die Welt berichtet von Informationen über geplante Aktionen der Hamas, die exakt das Szenario vom 7.10.2023 vorwegnehmen:

    “Verhöre in Gaza gefangen genommener Hamas-Aktivisten sollen einen  tödlichen Plan aufgedeckt haben. Demnach planten die Islamisten zum  jüdischen Neujahrsfest im September ein Massenattentat.
    Hunderte Hamas-Kämpfer sollten gleichzeitig durch Tunnel ins Grenzgebiet rund um Gaza  eindringen, dort sechs Ortschaften angreifen, so viele Menschen wie  möglich töten und zahlreiche Zivilisten in den Landstrich verschleppen.  Das teilten israelische Militärs der Webseite nrg.co.il mit.” (Welt, 25.7.2014)

Mehrere vereinbarte Waffenruhen werden von der Hamas nicht eingehalten, internationale Vermittlung hat sich zur Beendigung des Krieges eingeschaltet. Am 26.8. tritt schließlich ein Waffenstillstand in Kraft. Über Zahl und Identität der Opfer in Gaza (Hamas-Kämpfer oder Zivilisten) gibt es am Ende widersprüchliche Angaben, auch in arabischen Medien. Schlussfolgerungen nach den bekannten Angaben wurden  z.T. nach dem Alter und Geschlecht der Toten gezogen (z.B. Männer zwischen 20 und 29). da Hamas-Kämpfer auch in Zivilkleidung agiert haben. Insgesamt wird von 1800-2100 Toten ausgegangen, die Trennung zwischen militärischen und zivilen Opfern schwankt nach Standpunkt zwischen 1:3 und 1:1. Auf israelischer Seite gab es 73 Tote, darunter 66 Soldaten. Unbestritten bleibt, das unverhältnismäßg viele Zivilisten auf palästinensischer Seite, darunter auch Frauen und Kinder, unter den Opfern sind. Die Wirksamkeit der israelischen Raketenabwehr (Iron dome) und die Primitivität der Qassam-Raketen, die zielungenau sind,tragen ihrerseits zum Ungleichgewicht der vergleichende Bilanz bei und beeinflusst die Bewertung zuungunsten Israels.
Die internationalen Reaktionen nehmen auch z.T. schon die Konstellation von 2023 vorweg, wenn auch noch nicht so prononciert. Der Iran ruft die islamische Welt zur Bewaffung der Palästinenser und zum Kampf gegen Israel auf, der türkische Präsident Erdogan erklärt, “die Israelis haben Hitler in Sachen Barbarei übertroffen”. Aufgrund der assymetrischen Kriegssituation wird Israel stärker für Völkerrechtsverletzungen verurteil als die Hamas, was man auch an der Zahl der Toten festmacht.

Die internationale und auch von der UN forcierte Debatte um die Opfer bringt Israel auf die propagandistische Anklagebank. Wie nie zuvor gab es auch propalästinensische und pro-Hamas-Demonstrationen in Europa und in Deutschland mit Hass- und Vernichtungsparolen gegenüber Israel.

 

Entführung von drei jungen Israelis: Hamas gibt Beteiligung zu, 23.8.2014 >taz

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kilometerlange Tunnel, gegraben mit der Hand, 25.7.2014 >Welt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der deutsche Nahostkonflikt, von Philipp Woldin, Lisas Caspari und Carfolina Ambrosi, 21.7.2014 >Zeit Online

2015-
2018

Knesset-
Neuwahl
2015

 

 

 

 

 

 

 

Am 22.1.2015 findet eine vorgezogene Neuwahl der Knesset statt, verursacht durch den Bruch der Koalition, nachdem die liberale Jesh Atid den zunehmend nationalistischen Kurs Netanyahus nicht weiter mitträgt. Im Mittelpunkt des Konflikts steht das vorgeschlagene Nationalstaatsgesetz, das Israel jüdischer machen und die Rechte der arabischen Minderheit beschränken will. Durchgesetzt wird dies dann 2018 in einer neuen Koalition, die aus der Wahl von 2015 hervorgeht und stärker rechts und religiös orientiert ist.
Die neue Koalition wird vom Likud mit 23,4% und 30 Sitzen (+12) geführt, Liebermann von Jisrael Beitenu hatte sich mit Netanyahu zerstitten und blieb zunächst in der Opposition (5,1%, 6 Sitze). In die Koalition kommen eine im Jahr zuvor vom Likud abgespaltene Partei der Mitte, Kulanu /”wir alle”) unter Mosche Kachlon mit 7,49% und 10 Sitzen, die “Siedlerpartei” von Bennett und den beiden religiösen Schas und Vereinigtes Thora-Judentum (7 und 6 Sitze). Insgesamt hat die Koalition mit 61 Seiten ganz knapp die Mehrheit der 120 Abgeordneten. Am 25.5.2016 trittt Liebermann doch noch der Koalition bei und wird Verteidigungsminister.
In der Opposition kommt in der Gesamtrangfolge auf Platz 2 die Zionistische Union, ein Zusammenschluss von Arbeitspartei unter Yitzhak Herzog und der Ha-Tnu’a von Tzipi Livni (ex Kadima), mit 18,67% und 24 Sitzen, die liberale Jesch Atid kommt nur noch auf 8,82% (-5,51) und 11 Sitze.

 

 

Kampf um
die Geschichte
Netanyahu
und Abbas

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Instrumentalisierung der Geschichte zu politischen Zwecken
Am 20. Oktober 2015 äußert Netanyahu auf dem 37. Zionistenkongress in New York eine politische motivierte Erklärung zur Geschichte des Holocaust, die jede weitere Verhandlung mit der Palästinensischen Führung (Abbas) schon grundsätzlich diskreditieren soll. Darin behauptet er, Hitler habe die Ermordung der Juden Europas 1941 auf Anraten des Großmuftis von Jerusalem, Hadj Amin al-Husseini, gefasst, weil dieser die Flucht der Juden nach Palästina verhindern wollte. “Hitler wollte die Juden nicht vernichten.” Ähnlich hat sich Netanyahu schon 2012 zum Großmufti als Architekt der Endlösung geäußert, doch diesmal schlägt es internationale Wellen.
Die Rolle des Mufti als Verbündeter Hitlers ist in den letzten Jahren intensiv untersucht worden, dabei gab es eine ganze Reihe bislang kaum oder gar nicht bekannter Fakten. Der Mufti unterstützte den Holocaust, erfand ihn aber nicht. Verbreitet und scheinbar belegt wird damals Netanyahus Darstellung auch von einigen jüdischen Medien wie Israelnetz, wo auf den Zeitpunkt im November kurz vor der Planung der Wannseekonferenz als kausaler Nexus hingewiesen wird. Offenbar ist dem Autor dieses Textes nicht klar, dass der Holocaust zu diesem Zeitpunkt schon begonnen hatte, nämlich durch die Massenerschießungen in der besetzten Sowjetunion, auch die größte bei Babyn Jar in der Ukraine am 29./30.9.41 war schon längst vorbei.
Kurz nach dem Feuerwerk der internationalen Reaktionen auf seine Rede rudert Netanyahu zurück und betont, so habe er das nicht gemeint, er wollte nur auf die Kollaboration des Muftis beim Holocaust hinweisen, die Nazis hätten dies schon selbst entschieden und der Holocaust begann im Juni 1941 (vg. Times of Israel, 30.102015).

Am 2. Mai 2018 erklärt Palästinenserpräsident Abbas vor dem Palästinensische Nationalkongress, der seit 22 Jahren zum ersten Mal zusammentritt, in Ramallah (nach dem Bericht in der Neuen Zürcher Zeitung): “Die Juden Europas seien nicht wegen ihres Jüdischseins Opfer des Holocaust geworden, sondern wegen ihrer sozialen Rolle «in Bezug auf Wucher und Bankgeschäfte und dergleichen», sagte Abbas am Montag.” (NZZ, 2.5.2018). Kurz danach entschuldigt sich Abbas, “er habe niemanden verletzen wollen” (Die Zeit, 4.5.2018, eine inzwischen auch bei uns übliche Floskel, die eine inhaltliche Widerrufung umgeht.
Abbas hat zuvor mehrfach Leugnungen oder Relativierungen des Holocaust von sich gegeben und sich bei passender Gelegenheit davon distanziert um später wieder darauf zurückzukommen. In seiner Moskauer Dissertation von 1980 schrieb er von nur “einigen Hunderttausend” ermordeter Juden im Nationalsozialismus, Gaskammern habe es aber nicht gegeben, und zionistische Organisationen hätten stattdessen mit Hitler die Auswanderung der Juden ins damalige Palästina organisiert - also das exakte Gegenstück zu Netanyahus Geschichtsfälschung und ebenso falsch. Jüdische Organisationen versuchten die Rettung von Juden und konnten bis zum Kriegsbeginn eine geordnete Auswanderung nach Palästina gegen Geld aushandeln (Haavara-Abkommen), jedoch wurde der Holocaust dadurch nicht verhindert.
Am 23.6.2016 ist Abbas ist auch durch ganz “traditionellen” Antisemitismus aufgefallen und dies im Europäischen Parlament:

    Bestimmte Rabbis in Israel haben ihre Regierung klar, sehr klar dazu aufgefordert, dass unser  Wasser vergiftet werden sollte, um Palästinenser zu töten. Was ist denn  das, wenn nicht eine Gewaltverherrlichung und ein Aufruf zu... einem Genozid?” (Wikipedia, “Brunnenvergiftung”).

Das EU-Parlament hat die Reden von Abbas und Parlamentspräsident Schulz aus dem Online-Archiv gestrichen, Artikel der großen deutschen Presse zur Abbas-Rede sind im Internet kaum zu finden. Der Tagesspiegel hat noch einen Gastkommentar des damaligen israelischen Botschafters in Deutschland, Yakov Hadas-Handelsman, online stehen. Darin schreibt er:

    “Es geschah mitten in Europa, vor Zeugen und laufenden Kameras. Wieder war es Mahmud Abbas, dem Präsidenten der palästinensischen Autonomiebehörde, gelungen, eine Lüge als Wahrheit zu verkaufen. Diesmal im Europäischen Parlament in Brüssel, im Herzen der europäischen Demokratie. Und er bekam dafür stehenden Applaus. [...] Zwar dauerte es nach der Rede in Brüssel nur einen Tag ehe klar war, dass es weder diese vermeintlichen Rabbiner noch einen solchen Aufruf an die israelische Regierung gibt. Die Behauptung war so falsch, dass sogar Präsident Abbas [danach] auf umständliche Weise erklären musste, er habe all das gar nicht so gemeint. [...] Es kann ihm aber auch egal sein, denn offenbar hat es keine Konsequenzen, im Jahr 2016 im Europäischen Parlament judenfeindliche Lügen auszubreiten.”

Am 16.8.2022 erklärt Abbas dann bei einem Besuch in Berlin, von Israel verübte Massaker:

    “Seit 1947 bis zum heutigen Tage hat Israel 50 Massaker in 50 palästinensischen Dörfern und Städten begangen, in Dair Jassin, Tantura, Kafr Kassim und vielen weiteren, 50 Massaker, 50 Holocausts. Bis zum heutigen Tag haben wir tagtäglich Tote, die von der IDF und von der israelischen Armee getötet werden.”

Zwei der drei genannten Dörfer und der damit verbundenen Massaker beziehen sich auf den Unabhängigkeitskrieg oder arabisch die Naqba. Dass es in der Eskalation damals auch Massaker gegeben hat, auf die die jeweilige Gegenseite mit gleicher Münze antwortete, ist unbestritten, freilich erwähnt er nur die eine Seite, weil diese aus seiner Sicht Schuld am Ganzen hatte. Anders verhält es sich mit Kafr Qasim 1956 im Sinaikrieg. Entscheidend ist jedoch die Banalisierung des Begriffes Holocaust und die entsprechende Quantifizierung: Wenn ein Massaker an einer Dorfbevölkerung (- so schlimm das war, wohlgemerkt!) dem historischen Holocaust gleich kommt, war dieser auch nicht mehr. Und die Israelis taten danach den Palästinensern 50x dessen an, als ihnen selbst unter den Nazis angetan wurde.

Netanyahu >Wikipedia

Anger at Netanyahu claim Palestinian grand mufti inspired Holocaust,
21.10.2015 >Guardian
Mit Videoausschnitt von Netanyahus Rede

Netanyahu, Hitler, der Mufti und der Holocaust, 21.10.2015 >Israelnetz

Netanyahu: Nazis, not Jerusalem mufti, responsible für Holocaust, 30.10.2015 >Times of Israel

Zum “Politikum Mufti” und dem historischen Hintergrund siehe
W. Geiger:  Der Mufti von Jerusalem als Politikum. Über Haj Amin al-Husseini, Hitler und den Holocaust, anlässlich
der Äußerung von Benjamin Netanyahu
20.10.2015
>academia.edu

 

 

Abbas empört mit antisemitischen Bemerkungen, Monika Bollinger,
2.5.2018 >NZZ

 

Ein nachträglich empörter Kanzler und viel Widerspruch für Abbas, J. Leithäuser und J. Stahnke, 17.8.2022 >FAZ
Mit Rückblick auf frühere Äußerungen von Abbas.

 

 

 

Brunnenvergiftung >Wikipedia
Siehe dort Eintrag am Ende, “Gegenwart”
Vgl.  Artikel in der >New York Times /
Washington Post


 

 

 

 

 

 

EU-Rede von Palästinenserpräsident Abbas. Applaus für Antisemitismus, von Yakov Hadas-Handelsman, 6.7.2016 >Tagesspiegel

Palestinian president apologizes for anti-
Semitic comments, by Ruth Eglash, 25.6.2016 >Washington Post

 

 

 

 

 

 

 

 

Massaker von Kafr Qasim >Wikipedia

 

Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebhörde Abbas am 16. August 2022 >Bundesregierung
Am Ende der Dokumentation gibt es eine nachträgliche Distanzierung von Scholz:  “[...] Ich verurteile jeden Versuch, die Verbrechen des Holocaust zu leugnen.”

 

 

Am 19.7.2018 verabschiedet die Knesset mit der Regierunngsmehrheit das Nationalstaatsgesetz, für das es in der vorherigen Legislaturperiode keine Mehrheit gegeben hat.  Es unterstreicht den jüdischen Charakter des Staates Israel, das in diesem Staat alleine das Recht auf nationale Selbstbestimmung hat. Hauptstadt ist das “ganze uznd vereinigte Jerusalem” entsprechend dem Jerusalemgesetz von 1980. Die Amtstprache ist Hebräisch, Arabisch hat einen Sonderstatus, sein bisheriger Gebrauch wird jedoch nicht eingeschränkt. Schließlich fördert Israel den Bau jüdischer Siedlungen. Da es um das Staatsgebiet Israels geht, sind jedoch die Siedlungen im Westjordanland damit nicht angesprochen. Vielmehr ist es Relikt einer entschärften Fassung des ursprüngtichen Entwurfs, wo es hieß, dass arabische Bevölkerung aus bestimmten Kommunen ausgeschlossen werden könnte. Ebenso entschärft wurde der Passus zur arabischen Sprache, die zwar keinen quasi sekundären offiziellen Status mehr hat, aber doch nicht eingeschränkt werden soll. Dennoch ist hier ein deutlicher Unterschied zur Unabhängigkeitserklärung von 1948, wo es heißt: “Er [0der Staat} wird sich der Entwicklung des Landes zum Wohle aller seiner Bewohner widmen. [...] Er wird all seinen Bürgern ohne Unterschied von Religion, Rasse und Geschlecht, soziale und politische Gleichberechtigung verbürgen. Er wird Glaubens- und Gewissensfreiheit, Freiheit der Sprache, Erziehung und Kultur gewährleisten.” Mit dem Nationalstaatsgesetz ist die Unabhängigkeitserklärung nicht außer Kraft gesetzt.

Am 30.3.2018 beginnen Proteste von Palästinensern im Gaza-Streifen an der Grenze zu Israel. Der Auftakt beginnt mit 30.000 Demonstrierenden. Die Aktion wird als “Marsch der Rückkehr” bezeichnet und soll das Rückkehrrecht der (Nachkommen der) 1948 nach Gaza Geflohenen zum Ausdruck bringen, gleichzeitig wird es aber auch “Marsch für Al-Kuds (=Jerusalem)” genannt mit Bezug auf die Entscheidung von US-Präsident Trump, die US-Botschaft in Israel nach Jerusalem zu verlegen. Die überwiegend friedlichen Demonstanten versuchen, den Grenzzaun zu überwinden, etliche werfen Gegenstände über den Zaun, darunter auch pyrotechnische, außdem befanden sich militante Kämpfer der Hamas und anderer Gruppen. Der Schusswaffengebrauch der israleischen Streitkräfte gegen jene, deren Übertritt auf israelisches Gebiet nicht anders zu verhindern ist, ruft heftige internationale Verurteilungen, darunter durch die UN-Vollversammlung ,

Wird noch ergänzt...

 

Nationalstaatsgesetz >Wikipedia

Unabhängigkeitserklärung >Wikipedia

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2018-2019 Gaza border protests (engl.) >Wikipedia

 

 

 

 

 

 

 

 

Übersicht Gaza-Konflikt

Nach der Auflistung bei >Wikipedia gab es 8 größere Konflikte oder Kriege (mit Links zu den Wikipedia-Seiten):

Gaza-Israel-Konflikt (seit 2006)
Operation Gegossenes Blei (2008/2009)
Operation Wolkensäule (2012)
Operation Protective Edge (2014)
Israel-Gaza-Konflikt 2021
Operation Breaking Dawn (2022)
Krieg in Israel und Gaza 2023 / Terrorangriff der Hamas auf Israel 2023 / Israelische Militäroperation “€žEiserne Schwerter

 

 

 

Entwicklung des Siedlungsbaus in der Ära Netanyahu (in Arbeit)

Auch in der Zeit von Sharon und Olmert (bis 2009) stieg die Zahl der Siedler von 234.487 im Jahr 2004 über 282.400 (2006) und 314.100 im Jahr 2010, in Ost-Jerusalem von 181.587 (2004) auf 198.629 (2010). Für den Olmert-Plan (siehe oben) war das Problem jedoch insofern zu lösen, als diese Siedlungen zum größten Teil noch im grenznahen Bereich erfolgten, der im Territorialtausch an Israel kommen konnte, die anderen Siedlungen wären dem Plan zufolge zwangsevakuriert worden.

In der Ära Netanyahu verbreitete sich der Siedlungsbau über das gesamte Gebiet der Westbank nicht nur in der C-Zone, sondern auch in der B-Zone und entwickelte sich in Zahlen der Siedler wie folgt:

 

 

 

Wikipedia

Statista

 

Israelische Siedlung >Wikipedia
Israelische Bevölkerung der Siedlungen im Westjordanland >Statista
Zur Situation 2021 siehe Karte auf  “Die Gefahr einer weiteren Eskalation ist groß”, Jonas Roth, 3.11.2023  >NZZ
Vgl. auch: Heiliger Kampf um das Westjordanland, Martin Franke,
26.6.2018 >FAZ
Die Besetzung bleibt rechtswidrig, Reinhard Müller, 19.11.2019 >FAZ

 

 

Westjordanland

Ost-Jerusalem

 

2010

314.000

303.900

198.629

 

2014

400.000

 

 

 

2016

 

406.332

 

 

2018

427.800

 

218.000

 

2020

451.000

 

 

 

2022

 

490.493