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Geschichtslehrer/innen Forum (Nicht nur für die Schule...!)
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Israel / Palästina - Nahostkonflikt (8) - 7.10.2023 / 13.6.2025
Hintergrundinformationen, Dokumente und Links zur Geschichte Palästinas und Israels Update 27.6.2025
Auf dieser Seite:
- Israel und der Nahostkonflikt seit dem 7. Oktober 2023 (Analyse)
- 13. Juni 2025: Ultima ratio gegen die atomare Bedrohung aus dem Iran
Aktuelles neues Vorwort zu meinem Buch Israel, Palästina und wir direkt >>dorthin (last update 15.6.2025)
- Recht, Unrecht... Völkerrecht? Weitergehende, aktuelle Überlegungen zum asymmetrischen Konflikt (last update 27.6.2025) >>hier
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Spektroradiometrisches Satellitenbild des Nahen Osten mit den eingezeichneten Grenzen von 1949. Wikimedia Commons |
Auf den vorherigen Seiten: 1. Startseite: Links zu Seiten im Internet und bibliographische Hinweise zu Büchern >hier
2. Daten zur Geschichte Jerusalems, des Alten Israel und der Provinz Palästina vom Altertum zum Osmanischen Reich (bis 1914) >hier
3. Palästina vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg >hier a) Chronologie, b) Inhaltliche Ergänzungen: Sykes-Picot-Abkommen, Balfour-Deklaration / Britisches Mandat / 2. Weltkrieg
4. Nach dem Zweiten Weltkrieg: UN-Teilungsplan, Gründung Israels und die Folgen bis nach dem Sechstagekrieg >hier a) Chronologie b) Inhaltliche Ergänzungen: Unabhängigkeitskrieg / 1948/1967: Kampf um Jerusalem / Sechstagekrieg: Präventivkrieg oder Expansionskrieg?
5. Der Nahe Osten seit dem Sechstagekrieg bis zur Ermordung Rabins 1995 >hier a) Chronologie b) Inhaltliche Ergänzung: Situation nach dem Sechstagekrieg und Entwicklung der Siedlungsbewegung
6. Der Nahostkonflikt von der Ermordung Rabins bis zum israelischen Rückzug aus Gaza 2005 >hier
7. Der Nahostkonflikt nach dem israelischen Rückzug aus Gaza 2005 bis zum 7.10.2023
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Mehr zum Buch >>hier unten.
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Israel und der Nahostkonflikt seit dem 7.10.2023 (Analyse)
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Aa blood-stained baby crib and a ravaged room on the aftermath of the 7th October 2023 Hamas attack and massacres on Israel. ZAKA / Wikimedia Commons

A "Shabbat Dinner" table at the Tel Aviv art museum plaza, with more than 200 empty seats, representing the hostages and missing held in Gaza. Yossipik / Wikipedia
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An aerial view showing destruction in Rafah after Israeli forces withdrawal and as the ceasefire took hold, Gaza Strip 21.1.25 UNRWA / Wikipedia
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7.10. 2023 - 13.6. 2025
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Der Terrorangriff mit dem damit verbundenen, geplanten Pogrom an der israelischen Zivilbevölkerung jenseits der Grenze des Gaza-Streifens ist bereits Thema der Startseite >>Nahost sowie, ausführlicher, auf https://www.juedischegeschichte.de/html/naher_osten.html dabei auch die ausführliche Analyse: Der 7. Oktober 2023: Ein neuer Zivilisationsbruch https://www.juedischegeschichte.de/html/7_10__zivilisationsbruch_-2.html
Der Verlauf des “Gaza-Krieges” kann und soll hier nicht im Detail aufgelistet werden. Folgende grundsätzliche Überlegungen erscheinen aber wichtig:
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Der Kampf gegen eine Terrororganisation, die Hamas, die von den Vereinten Nationen, anders als von der EU, nicht als Terrorganisation eingestuft ist, die über ein staatsähnliches Territorium regierte, ohne als Staat anerkannt zu sein, die außer den klassischen Waffen einer Terrororganisation auch über ein strategisches Raketenarsenal verfügte, dass am 7.10. und danach eingesetzt wurde, ohne als Kombattant im Sinne des Kriegsrechts anerkannt zu sein und auch nicht als Partisanenorganisation oder Milz - dieser Kampf gegen das völkerrechtliche “Phantom” Hamas war und ist nicht nur in militärischer Hinwischt das, was asymmetrischer Kampf, Krieg oder Konflikt genannt wird.
Auf der einen Seite ein Staat, dessen Handeln nach dem Kriegs-, Völker- und Menschenrecht gemessen wird, auf der anderen etwas, das gar nichts ist im Sinne dieses internationalen Rechts und damit alle Freiheiten hat. Gewiss, vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wurde Anklage erhoben gegen drei Hamas-Führer, so wie gegen den israelischen Ministerpräsident Netanyahu und seinen damaligen Verteidigungsminister Gallant. Die inzwischen vom israelischen Militär getöteten Hamas-Führer wurden aber nur als verantwortliche Individuen angeklagt, während auf der anderen Seite mit den beiden führenden Politikern der Staat Israel auf der politischen Anklagebank sitzt mit drohenden und schon praktizierte Sanktionen, die Hamas dagegen als Organisation nicht belangt wird und morgen legal im Sinne der UN wiederaufgerüstet werden dürfte für neue Terroraktionen.
Die UN-Vollversammlung hat auch den Terrorakt vom 7. Oktober nicht explizit verurteilt, sondern nur die Gewalt von beiden Seiten. Für die Mehrheit der UN- Mitgliedsstaaten ist die Hamas seit 2002 eine legitime Befreiungsorganisation, auch wenn dies nie so offiziell erklärt wurden auch wenn dies vor allem nach dem 7.10. nicht mehr so laut gesagt wurde, doch kam es in den verhinderten Resolutionen oder Stellungnahmen zum Ausdruck, so in der verhinderten Stellungsnahme zum 7.10.2023.
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Im Folgenden handelt es sich im Wesentlichen um Zusammen- fassungen aus Passagen in meinem aktuellen Buch Siehe >>hier unten.
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Die Findung des Begriffes »asymmetrischer Konflikt«, »Kampf« oder »Krieg« seit Beginn der 2000er Jahre war zunächst ein ungewollter Tribut an diejenigen, die dadurch einen Sieg errungen hatten, der ihnen aufgrund der Überlegenheit des Gegners im konventionellen Maßstab nicht zugetraut worden war. Früher hieß es Guerrillakampf, es waren Partisanen in einem nicht konventionellen Krieg, paramilitärische Verbände (älterer Ausdruck), und solche Kriegstaktiken sind viel älter als die heute bekannten. Eine Fatalität des asymmetrischen Konflikts ist, dass der konventionell Überlegene, sich seiner Unterlegenheit in diesem Kampf gewahr werdend, seine eigenen Verhaltensregeln aufgibt. So beschreibt Michael Wolffsohn das Dilemma:
“Derjenige, der Guerilllas [d.h. Guerilleros] bekämpft, also Israel in diesem Falle, kommt in ein schreckliches Dilemma. Einerseits glaubt er, zurückschlagen zu müssen, andererseits sieht er, daß dabei unbeteiligte und unschuldige Zivilisten betroffen und getroffen werden. […] Nicht nur die tatsächlich oder vermeintlich gerechtfertigte Gewalt ist zwischen Israelis und Deutschen umstritten, sondern das, was Gewalt ist: In Deutschland, darüber hinaus wohl in Westeuropa überhaupt, wird die Reaktion auf Gewalt ebenso als solche angeprangert wie die vorangegangene Aktion, bei der die Geiselnahme von unbeteiligten Zivilisten Teil des Gesamtplanes ist. Beide Sichtweisen sind erklärlich, doch vereinbar sind sie nicht.”
Fraglich ist jedoch auch, wie lange dieses Dilemma überhaupt noch empfunden wird. Moralische und rechtliche Hürden für das eigene Handeln aufrechtzuerhalten, die der Gegner ignoriert, erscheint absurd und hat seit jeher eine eskalierende Barbarisierung bewirkt. Zumal das Abstreifen der moralischen Hemmnisse nicht nur eine »Befreiung« der Tat, sondern damit auch deren Erfolg ermöglicht, wie Karl-Heinz Metz darlegt:
»Das Geheimnis des Erfolgs im asymmetrischen Kampf für den Überlegenen besteht seit jeher darin, auf die Symmetrie-Ebene herabzusteigen, also den Partisanen wie ein Partisan zu bekämpfen, den Terroristen wie ein Terrorist.«
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Michael Wolffsohn: Ewige Schuld? 75 Jahre deutsch-israelische Beziehungen. München (Piper) 1988 u.sp., (Langen-Müller) überarb. Neuausg. 2023, S. 249.
Karl Heinz Metz: Geschichte der Gewalt. Krieg – Revolution – Terror. Darmstadt (WBG/Primus) 2010, S. 260.
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Der Feind, der sich hinter Zivilisten versteckt, aus ihrer Mitte heraus agiert, bewusst Gemeinschafts- und humanitäre Einrichtungen aussucht wie Schulen, Krankenhäuser und improvisierte Flüchtlingsunterkünfte, sowie sich zum Teil selbst in ziviler Kleidung unkenntlich macht, könnte unter maximaler Wahrung humanitärer Regeln nur im Häuserkampf bekämpft werden, der unter den örtlichen Bedingungen im Gaza-Streifen ein im zynischen Doppelsinn des Wortes »Heimspiel« für die Hamas gewesen wäre. Die Verluste an Soldaten wären für Israel enorm, der Erfolg fraglich. Und so werden die richtig oder falsch lokalisierten Ziele aus der Luft angegriffen, egal, ob und wie viele Zivilisten dabei auch getötet werden, und die Bodentruppen rücken nach, wenn das Zielobjekt zerstört ist. Gewiss, immer wieder melden die Medien, dass die betroffenen Einwohner der ins Visier genommenen Häuser oder Stadtviertel kurz zuvor gewarnt wurden. Letzteres brachte sie trotzdem nicht immer in Sicherheit, wie die Zahl der Toten zeigt, offensichtlich kam es nicht an oder ließ ihnen nicht genug Zeit. Wir wissen aber nicht, weil dies nicht berichtet wird, wie viele Vorwarnungen erfolgreich waren, es werden nur die Ergebnisse der nicht erfolgreichen gezeigt. Abgesehen davon ist nicht einsichtig, wieso die dort vermuteten Zielpersonen getroffen werden sollten, wenn sie doch die Vorwarnung auch mitbekommen haben.
Die Hamas hatte eine massive Reaktion Israels einkalkuliert, ungefähr so wie 2024, und opferte hierfür die Zivilisten, die ins Schussfeld gerieten um den Preis einer verstärkten internationalen Isolation Israels. Letzteres ist wohl aufgegangen:
“Die Hamas hat mit ihrem Terror nicht nur Israel in einen Krieg gezwungen, in dem es schuldig wird. Sie orchestriert auch mit Erfolg unsere Gefühle.”
schrieb die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller am 25.5.2024 in der F.A.Z. Doch den Willen Israels, koste es was es wolle, die Hamas auszuschalten, hat die Hamas sicher unterschätzt, so wie die israelische Regierung, dass dies nicht in ein paar Monaten erledigt sein würde. Und so schwand die anfängliche relative Zurückhaltung in der militärischen Vorgehensweise immer mehr, die Radikalisierung des Handelns ging mit einer Radikalisierung des Denkens einher, letztere zur Rechtfertigung des ersteren. Das Ziel rechtfertigt aber nicht alle Mittel.
Wird ergänzt...
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Herta Müller: Ich kann mir die Welt ohne Israel nicht vorstellen, >F.A.Z., 3.6.2024.
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Aktuell
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Last update 15.6.225
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13. Juni 2025: Ultima ratio gegen die atomare Bedrohung aus dem Iran
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Dieses Statement zur aktuellen Lage kann als zusätzliches aktuelles Vorwort zu meinem Buch gelten. Text als >>pdf
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„Understanding what is happening in the Middle East is more important than ever“ The Guardian, 13.6.2025.
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Wolfgang Geiger Israel, Palästina und wir Deutsche Perspektiven und die Geschichte vor und nach dem 7. Oktober 2023. Frankfurt a.M. (>Humanities Online) 2025. >>info-Flyer >>Inhaltsverzeichnis, Einleitung Neuerscheinung, Redaktionsschluss 30.4.2025
Vgl. Rezension auf >Zukunft braucht Erinnerung
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Seit dem 13. Juni ist der Konflikt im Nahen Osten in eine neue Phase getreten, die in ihrer Bedeutung der Zäsur durch den Sechstagekrieg 1967 zumindest gleichkommt, wenn nicht sogar übertrifft. Mit gravierenden Auswirkungen auf die Weltpolitik, auf den ganzen Nahen und Mittleren Osten, aber auch auf die Situation im engeren geostrategischen Radius: im Gaza-Streifen und im Verhältnis zum Libanon mit dem Problem Hisbollah, sowie auch auf die Politik in Israel selbst.
In der Nacht zum 13. Juni 2025 läuteten gegen 2 Uhr die Sirenen in Israel, begleitet von der Verkündung des home front emergency über die Medien mit dem Aufruf an die Bevölkerung, sich in der Nähe von Schutzräumen aufzuhalten. Unmittelbar danach begann der Luftangriff auf strategische Ziele im Iran, allen voran die Atomanlagen. Verteidigungsminister Katz warnte vor iranischen Drohnenangriffen nach die dem ”präemptiven Schlag” Israels gegen den Iran und wenig später erklärten der Militärsprecher und Premierminister Netanyahu, Israel habe diese “präemptiven Schläge” mit »Hunderten von Kampfflugzeugen« auf ”hundert Ziele” ausgeführt und führe die Aktion weiter fort soweit wie notwendig.
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Damit sollten die Anlagen zur Urananreicherung soweit unfähig gemacht werden, damit atomwaffenfähiges Material herstellen zu können. Ob dies gelungen ist und in welchem Maße - dauerhaft oder nur kurzfristig - wird vielleich unklar bleiben.Gleichzeitig galten die Angriffe militärischen Einrichtungen wie der dortigen Luftabwehr, die schon bei den begrenzten gegenseitigen Beschuss im April 2024 stark geschwächt wurde, und den Anlagen für ballistische Raketen, um einen Gegenschlag des Iran zu minimieren, sowie strategischen Zielen im weiteren Sinne wie Anlagen der Erdölindustrie. Und es gab gezielte persönliche Angriffe auf führende Militärs und Atomwissenschaftler. (Nach dem Liveblog auf Haaretz am frühen 13.6.).
Der Angriff auf die Atomanlagen hat, auch nach Aussage der IAEA am 13.6., keine Radioaktivität freigesetzt. Das erscheint schon wie ein Wunder. Hoffentlich bleibt es dabei.
Nach einem weitgehend abgewehrten Drohnenangriff noch am 13.6. hat der Iran am 14.6. aus seinem ursprünglich auf 1000 Raketen oder mehr geschätzten Arsenal 200 auf Israel abgefeuert, von denen die meisten durch die israelische und die in Jordanien stationierte Abwehr der USA sowie die jordanische selbst abgefangen werden konnten.
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Am 12.6. hatte die Internationale Atomenergiebehörde durch ihren Direktor Rafael Grossi erklärt, dass die Konsultationen zur Überwachung des Atomprogramms mit dem Iran beendet würden, nachdem der Iran keinerlei Zugeständnisse mehr mache, weil er ganz offensichtlich die Kapazität des Atomwaffenbaus anstrebe und hierbei schon kurz vor dem Ziel sei. Bereits am 9. Juni hatte Grossi „große Sorge“ wegen Irans Uran-Anreicherung geäußert und die Medien waren voll von Spekulationen über eine israelischen Militärschlag. [1] Die Erklärung vom 12.6. war das Signal für Israels Präventivschlag zur Verhinderung der iranischen Atombewaffnung. Trotzdem erklärten Journalisten und Nahostexperten am 13.6. in den Medien (z.B. auf tagesschau.de), man sei vor Ort von dem Militärschlag Israels überrascht gewesen.{2]. Warum?
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[1] Atomic watchdog says Iran not complying with nuclear safeguards, >UN News, 12.6.2025,- IAEA-Chef: „Große Sorge“ wegen Irans Uran- Anreicherung, >Zeit Online, 9.6.2025,
[2] Attacke auf Iran - “Angriff hat hier alle überrascht! >tagesschau.de 13.6.2025, 11 h
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Seit vielen Jahren, noch zu Zeiten des laufenden Atomabkommens zwischen den USA, der EU und dem Iran, hatte Netanyahu vor dieser Entwicklung im Iran gewarnt und das Abkommen für einen Irrweg erklärt, da es vom Iran unterlaufen werde. Solange die IAEA das aber aufgrund des Abkommens vor Ort überwachen konnte, erschien dies propagandistisch überzogen und als solches selbst unklar: Was war denn die Alternative? Die Situation änderte sich vollständig, als Trump in seiner ersten Präsidentschaft das Abkommen einseitig aufkündigte (8.5.2018), gegen den einmütigen Widerspruch der internationalen Staatengemeinschaft, und neue Sanktionen verhängte. Damit hatte der Iran aber freie Bahn, sein Programm uneingeschränkt fortzusetzen, und die erweiterten Sanktionen statt der vorherigen Zugeständnisse hinderten ihn überhaupt nicht daran.
Für jede israelische Regierung, egal welcher politischer Richtung, musste klar sein, dass der Iran, der die Vernichtung Israels auf seine Fahnen geschrieben hatte, niemals die Fähigkeit zur Atombewaffnung bekommen durfte. So blieb einzig nur noch die Möglichkeit, dies militärisch zu verhindern, wie jetzt geschehen. Dies sollte auch uns so klar sein. Niemand, der heute sagt, das war völkerrechtlich Unrecht, kann sagen, wie das Atomprogramm stattdessen rechtzeitig verhindert werden konnte, und er argumentiert mit einem Recht von 1948, das dieses Bedrohungsszenario gar nicht kannte.
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Die militärisch-technische Befähigung der israelischen Luftwaffe dazu war nicht ohne die USA herzustellen, die seit Jahren spezielle Bomben entwickelten, welche die tief unter der Erde verbunkerten Atomanlagen erreichen konnten. dafür gab es mehrere Szenarien, mit oder ohne direkter Mitwirkung der USA, wie Haaretz schon vor langem berichtet hat. Am 17. April hast sie konkret einen israelisch-amerikanischen Plan für solch einen Schlag im Monat Mai angekündigt, allerdings auch auf die Widersprüchlichkeit der amerikanischen Haltung hingewiesen, wo Trump nun doch wieder Gespräche mit dem Iran wollte [3]. War die Wiederaufnahme der US-iranischen Gespräche ernsthaft mit der Erwartung eines positiven Ergebnisses verbunden, sollten halboffizielle Warnungen vor einem Militärschlag den Iran einschüchtern, oder war dies nur eine Ablenkung von der finalen Vorbereitung dieses längst vereinbarten und seit Jahren vorbereiteten Präventivschlages? Klar erscheint, dass die Wiederaufnahme der Atomgespräche von iranischer Seite eine Hinhaltetaktik war bis zum Erreichen des fait accompli seiner Atombewaffnung.
Jedenfalls will die USA nicht als Mit-Agressor dastehen und distanziert sich somit von Israel – so Außenminister Rubio und zunächst Trump selbst, der sogar zuvor schon davor gewarnt hatte, während er dann angesichts des militärischen Genies der Israelis dies doch auch für sich vereinnahmen wollte, indem er erklärte, er habe Iran Anfang April ein »60-Tage-Ultimatum« gegeben, das verstrichen sei (Haaretz, 13.6.).[4} Die USA haben rechtzeitig auch noch neue Abwehrwaffen gegen Drohnen für Flugzeuge entwickelt, die im Rahmen einer umfassenden Verstärkung der amerikanischen Militärpräsenz seit Anfang April in Jordanien stationiert [5] und somit jetzt eingesetzt wurden.
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[3] Yossi Melman: Bibi and the Bomb: Has Trump Dealt a Death Blow to Israel Striking Iran? Haaretz, 17.4.2025.
[4] Vgl. Andrew Roth: Trump scrambles to claim credit for Israel’s Iran attack he publicly opposed, >The Guardian, 13.6.2025 [5] Avi Scharf: Record-breaking U.S. Deplolyment in Middle East Amid Trump’s Nuclear Ultimatum for Iran, >Haaretz, 2.4.2025.
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Die politischen und militärischen Folgen sind ad hoc kaum abzusehen und doch zeichnen sich schon am Tag 2 nach dem Angriff einige Tendenzen ab. Während der Iran alle Helfer Israels bei der Flugabwehr zu Gegnern in seiner Kriegserklärung macht - also die USA selbst sowie Jordanien -, prophezeien Netanyahu und Verteidigungsminister Katz “wir werden jeden Standort und jedes Ziel des Ajatollah-Regimes angreifen”, und dann “wird Teheran brennen”, falls der Iran weiter Raketenangriffe auf Zivilisten in Israel durchführe [6].
Diese Drohung einer grenzenlosen Eskalation auch gegen die Zivilbevölkerung Teherans zu einem Zeitpunkt, als die israelischen Angriffe dort bereits mehr Zivilisten das Leben gekostet haben als umgekehrt, ist als Warnung gedacht, könnte aber auch als self fuilfilling prophecy enden. Gewiss, die israelischen Ziele waren militärische, das targeted killing der Führungspersonen traf auch unbeteiligte Zivilisten, demgegenüber zielten iranische Raketen unterschiedslos auf die Zivilbevölkerung. Will die israelische Führung nun Gleiches mit Gleichem in einem unmoralischen Wettlauf nach unten vergelten? Will es Gaza auch in Teheran?
Moral, auch im Krieg, und völker- und menschenrechtliche Grundsätze drohen obsolet zu werden angesichts der historischen Chance, die iranische Gefahr für die Existenz Israels ein für allemal auszuschalten und vielleicht sogar durch einen damit herbeigeführten regime change in Teheran. Wenn es aber, abgesehen von der schon obsolet gewordenen Frage der Menschlichkeit, unterschiedslos auch Menschen trifft, die in Opposition zum Mullah-Regime stehen, wie in Gaza die Gegner der Hamas, wird es eher die Solidarität mit dem Regime befördern.
Diese Perspektive und die Möglichkeit dazu durch die absolute Luftüberlegenheit Israels bringt die Entscheidungsträger in eine Art Trunkenheit, in der nur noch der Erfolg einer gerechtfertigten Aktion zählt, die Mittel dafür alle geheiligt sind, und kontraproduktive Effekte eigenen Handelns ohnehin nicht erkannt werden..
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[6] Israel fliegt weitere Angriffe auf den Iran, >tagesschau.de, 14.6.2025, 21:27
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Die militärische Schwächung des Iran auf allen Ebenen, wenn nicht noch mehr, zuvor die massive Schwächung der Hisbollah im Libanon und der Sturz des Assad-Regimes in Syrien durch die Opposition und natürlich die faktische Ausschaltung der militärischen Hamas – all dies zusammen lässt Israel geostrategisch als grandiosen Sieger dastehen, der noch vor kurzer Zeit von Feinden umringt war. Die Unschädlichmachung seiner Bedrohungen bezahlt Israel aber wahrscheinlich mit einer bisher ungeahnten Isolation in der Welt, nachdem es bislang schon singulär auf der politischen Anklagebank der UN saß.
Unter anderen außen- aber auch innenpolitischen Umständen könnte dieser Sieg über die Gegner die Voraussetzung für eine Friedensregelung in der ganzen Region werden. So sehr ich über den gelungenen Schlag gegen das iranische Atomprogramm erleichtert bin, so tief bin ich über die Konsequenzen für die palästinensische Bevölkerung besorgt, angesichts einer bislang nie dagewesenen Allmacht der israelischen Regierung und vor allem dieser Regierung.
Netanyahu wird in Israel vermutlich als Held auf der Höhe eines Ben Gurion gefeiert werden, und, objektiv gesehen – d.h. ohne Bewertung seiner Ziele und Methoden –, vollkommen zu Recht. Doch die Unterschiede zwischen beiden treten offen zutage: Auch Ben Gurion hat immer wieder radikale Wunschvorstellungen geäußert, aber nie danach gehandelt, er ist immer legalistisch geblieben, politisch und moralisch. Im Buch thematisiere ich dies an mehreren Stellen. Der Regierungskoalition unter Netanyahu eröffnet sich nun aber die Möglichkeit zur Erfüllung ihrer nationalistischen und völker- und menschenrechtswidrigen Pläne: Vertreibung der Palästinenser aus dem Gaza-Streifen und vollständige Besitzergreifung des Westjordanlandes mit einer Verdrängung der ansässigen palästinensischen Bevölkerung auf immer weniger Raum und perspektivisch deren Vertreibung. Wie? Wohin? Das ist in beiden Fällen unklar, doch der Weg dorthin offen. Die Wirklichkeit vor Ort holt die Fantasien der Extremisten immer mehr ein.
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Inwiefern sich die israelische Bevölkerung in ihrer Mehrheit für Netanyahus »Heldentum« auch gleichermaßen hinter diese extremistischen Ziele der Regierungskoalition stellt, ist durchaus fraglich, wenn es auch zweifelsohne eine Verschärfung der Radikalisierung im Volk seit dem 7.10.2023 gibt, jetzt befördert durch einen Enthusiasmus des Sieges über den Iran. Seriöse Umfragen haben bislang jedoch bei einer allgemeinen Zustimmung auch stets differenzierte Meinungen zum militärischen Vorgehen in Gaza gebracht.
Die aktuelle Politik Netanyahus ist nicht die Politik Ben Gurions, nicht die Politik des Zionismus von Anfang an. Vor und nach 2000 gab es einen Zeitraum von 15 Jahren, in dem Verhandlungslösungen für eine palästinensische Selbstbestimmung unter Wahrung der Sicherheit Israels angeboten und zum Teil vereinbart wurden. 2005 hatte Gaza, auf einmal frei von der israelischen Besatzung, eine einmalige Chance, unter Beweis zu stellen, dass es sich selbstständig und friedfertig regieren konnte, als Vorbild für einen Palästinenserstaat aus den 1967 besetzten Gebieten. Die Hamas hat alle Chancen zunichte gemacht: zunächst die umfassendere Lösung nicht nur für Gaza, sondern auch für das Westjordanland (2008), und am Ende hat sie, zwanzig Jahre nach dem Rückzug der Israelis aus Gaza, durch die israelische Reaktion auf den Pogrom vom 7.10.2023 die totale Zerstörung des Gaza-Streifens herbeigeführt. »Die Hamas hat mit ihrem Terror […] Israel in einen Krieg gezwungen, in dem es schuldig wird«, schrieb Herta Müller im Mai 2024, und zwar dadurch, dass sich die israelische Kriegführung immer mehr an den Terrorismus angeglichen hat, den sie bekämpft, ein keineswegs neuer Effekt in dem, was man asymmetrische Konflikte oder Kriege nennt. Die Ausschaltung der Hamas war und bleibt ein richtiges Ziel, die Mittel dazu wichen im Laufe der Zeit immer mehr vom richtigen Weg ab.
Die ständige Auseinandersetzung mit dem Terrorismus hat das sozialdemokratisch-säkulare Fundament des Staates Israel zerstört, die verhandlungsbereiten Kräfte ins Abseits gedrängt und entsprechend radikalreligiöse und nationalistische bis faschistische Kräfte gestärkt und letztlich zum Erfolg geführt. Der Extremismus auf beiden Seiten hat sich wechselseitig gestärkt, aber nur einen Sieger hervorgebracht. Für den Augenblick jedenfalls. Der momentane Sieg Israels über die Gegner – der Terrorismus wird nicht so schnell verschwinden – ist auch eine Niederlage für die Demokratie im Inneren, weil die Extremisten auch deren Niederlage für die Verwirklichung ihrer Ziele brauchen.
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Für die Beurteilung und Bewertung des Geschehens wird für uns (und nicht nur für uns) die Unterscheidung zwischen der aktuellen Regierung Israels und ihrer Politik auf der einen Seite und dem Staat Israel und seiner Geschichte auf der anderen umso dringender, wenn wir wirklich verstehen wollen, wie alles so weit kommen konnte.
„Understanding what is happening in the Middle East is more important than ever“, schreibt der britische Guardian in seiner Online-Berichterstattung als Werbung für sich selbst. Es gilt aber auch ganz generell.
Und eine adäquate Bewertung der Ereignisse heute kann nur im Licht der Geschichte erfolgen. Es zeigt sich aber schon seit längerem, dass die aktuelle Entwicklung dem entgegenarbeitet und aus der Verurteilung des Regierungshandelns eine Verurteilung des Staates Israel als solchem entsteht.
Selbst wenn Israel mit den Mitteln der ultima ratio die Bedrohung seiner Existenz durch die iranische Atompolitik ausgeschaltet hat, wird seine Existenz in der ganzen Welt vermutlich mehr denn je politisch infrage gestellt werden. Demgegenüber wird die Hamas noch heute von den Vereinten Nationen nicht als terroristische Organisation eingestuft, und während der Waffen-Boykott gegenüber Israel gefordert wird, ist die Wiederbewaffnung der Hamas, durch welchen Staat auch immer, in diesem Sinne nichts Illegales.
Um all die dafür relevanten historischen Fragen im Rückblick, mit aktuellem Bezug, aber nicht auf die Aktualität reduziert, geht es in dem Buch.
(C) W. Geiger, 15.6.2025
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Recht, Unrecht... Völkerrecht? Weitergehende, aktuelle Überlegungen zum asymmetrischen Konflikt
- Asymmetrisch
- Präventiv, präemptiv etc.
- Iran und Uran
- G7, „Drecksarbeit”, Völkerrecht und Weltpolizei
- Clausula sic rebus stantibus
- Bilanz 27.6.2025
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Vgl. in meinem Buch (siehe oben) S. 22-26 und darüber hinaus.
(C) Wolfgang Geiger
Last update 27.6.2025
Text als >pdf
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Asymmetrisch
“Asymmetrischer Krieg” oder “Konflikt” ist in der Politikwissenschaft relativ spät, nach dem Ende des Kalten Krieges entstanden, obwohl es das, was damit beschrieben wird, schon lange vorher gab und sich zuerst seit den 1960er Jahren in der “Guerilla” (= ”kleiner Krieg”) in Lateinamerika zeigte. Es handelte sich dabei um Kämpfe aus dem Untergrund von politischen Aufstandsbewegungen gegen Diktaturen. Befreiungsbewegungen in anderen Teilen der Welt schlossen sich dem an und auch die PLO verstand sich selbst in dieser “Tradition”. Das ungleiche militärische Kräfteverhältnis legitimierte Terrorormaßnahmen aus der Sicht derjenigen, die sie verübten, und nicht nur das: Es wurde zu einer Frage des internationalen Rechts, wie dies einzustufen sei und mit welchen Konsequenzen. Die UN hat sich bis heute nicht auf eine klare Definition von Terrorismus einigen können und singulär nur Al-Qaida und den IS als Terrorganisationen eingestuft, weil sie international agieren und zwar auch gegen arabisch-islamische Staaten bzw. gegen deren Interessen.
Terroristen wie die der Hamas agieren jenseits rechtlich definierter Kategorien, z.B. nach der Haager Landkriegsordnung (HLO, oder Haager Abkommen): Sie haben keinen regulären Kombattantenstatus und sind auch keine Miliz mit einer Struktur der Verantwortlichkeit und einer äußeren Erkennbarkeit, sie treten selten offen auf und beachten nicht “die Gesetze und Gebräuche des Krieges” (HLO Art. 1). [1]. Einzelne Terroristen können in den Staaten verhaftet und verurteilt werden, in denen ihre Terrorakte verübt werden, die Organisation dagegen ist international frei, sofern nicht nationale Gesetze einzelner Staaten oder eine Entschließung der UN sie als kriminell einstufen. Dass dies keineswegs kongruent verläuft, wird gleich klar.
Die Hamas und die Hisbollah wurden von der UNO nicht als Terrororganisationen eingestuft, anders als durch die EU. Die Hamas gilt als nationale Befreiungsbewegung der palästinensischen Sache gegen Israel. Zwar gibt es kein offizielles “Label” der UN für die Hamas in diesem Sinne, doch es war der Grund und das Argument gegen die Einstufung der Hamas als Terrororganisation im Kontext der UN-Vollversammlung bereits 2002, ein Jahr nach der entgegengesetzten Entscheidung der EU. Für die Organisation der Islamischen Konferenz, die 2002 eine breite Mehrheit in der UN gegen die Verurteilung der Hamas mobilisierte, ist diese “eine Partei in einem bewaffneten Konflikt” [2]. Diese Mehrheit in der UNO findet sich aus einer primären antiwestlichen Opposition heraus zusammen, denn, wie artin Meyer, der Präsident des Schweizerischen Instituts für Auslandforschung es formuliert: “Die UN sind, bitte pro memoria, zu einem übergroßen Teil von autoritären und diktatorischen Regimes beherrscht.” [3]
Damit wird ihr faktisch, die Entscheidungen der Vollversammlung motivierend, ein quasi legaler Status zugesprochen, ohne dass sie einen solchen wirklich hätte; als illegal (terroristisch) wird sie aber somit aber auch nicht qualifiziert, so agiert sie in einem völkerrechtlichen Niemandsland. Die Terroristenführer können sich unbehelligt in den Ländern aufhalten, die das zulassen, die Organisation darf finanziert und mit Waffen versorgt werden, niemand macht sich dadurch aus der Sicht der UN eines Vergehens schuldig. - Der Internationale Gerichtshof steht auf einem anderen Blatt.
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[1] Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs, 1909, Anlage Art. 1. Schweizerische Eidgenossenschaft, >Fedlex.
[2] Cf. Ben Saul: Terrorism as a transnational crime , in: Neil Boister / Robert J. Currie: Routledge Handbook of Transnatjonal Criminal Law. Abingdon, Oxon/New York (Routledge) 2015, S. 400. - Vgl. auch Javaid Rehman: Islam, terrorism and international law, in:: Ben Saul (Hrsg.): Research Handbook on International Law and Terrorism. Cheltenham (UK) / Northampton (Mass./US) (Elgar Publ.) 22020, S. 175f.
[3] Martin Meyer, Eröffnungsrede zum Vortrag von Herta Müller, “Politische Dämonen”, am 31.10.2024 im Schweizerischen Institut für Auslandforschung, Video Position 12:31, >SIAF, Zum Kontext Herta Müller siehe unten in der Analyse “You break it, you own it...”, >hier.
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Deswegen zeigt sich die Asymmetrie nicht nur im militärischen Sinne einer Über- und Unterlegenheit in der Konfrontation und davon abgeleitet in der Art und Weise des Kampfes des konventionell Unterlegenen um dies auszugleichen oder sogar umzukehren, sondern auch rechtlich in der Bewertung. Noch am 27.10.2025 verurteilte die UN-Vollversammlung zwar “alle Gewalttaten gegen Zivilisten”, “Terrorismus und unterschiedslose Angriffe” im aktuellen Konflikt Hamas-Israel, und zwar am Tag, als die israelische Bodenoffensive gegen Gaza begann. Das Datum ist nicht zufällig, denn die Resolution bringt vor allem ihre “große Besorgnis über die jüngste Eskalation von Gewalt seit dem Angriff vom 7. Oktober” (Hervorheb. von mir) zum Ausdruck, richtet sich also gegen Israel, während zu diesem “Angriff” der Hamas nichts weiter gesagt wird, und löst somit die formale Äquidistanz in der Verurteilung der Gewalt auf. Außerdem gibt es noch einen Anhang, der die israelische Besatzungspolitik in den besetzten Gebieten (Westjordanland und Ostjerusalem) verurteilt.
Eine explizite Verurteilung des Pogroms durch die Hamas an der israelischen Zivilbevölkerung vom 7.10.2023 gab es also nicht – Deutschland wollte das hinzufügen -, vielmehr eine beschönigende Formel des “Angriffs”, da es sich ja nach der Meinung der Mehrheit der UN-Vollversammlung um einen legitimen Akt gegen einen Unterdrücker handelt, denn es ist, nach der Formel von 2002, eine “Partei in einem bewaffneten Konflikt” von 2002, die dadurch Rechte hat, aber keine Pflichten, anders als die Gegenseite. Auf der UN-Webseite zu der Entschließung heißt es bezeichnend:
»Member States Fail to Adopt Amendment Condemning 7 October Terrorist Attacks by Hamas in Israel«. [4]
Nun kann man aber auch das strategische Verhältnis zwischen Iran und Israel unter die Rubrik asymmetrischer Konflikt einordnen. Das verwundert auf den ersten Blick. Vor der direkten Konfrontation seit dem 13.6. und einem Vorspiel dazu im April und Oktober 2024 [5] standen die beiden Staaten bereits in einer Art Kriegszustand, der sich eben nicht konventionell und daher auch nicht symmetrisch abspielte, nämlich über vom Iran bewaffnete, ausgebildete und grundsätzlich - wenn auch nicht immer - gelenkte Terrorgruppen, v.a. Hamas und Hisbollah. Dieser Zusammenhang ist unbestritten.
Befand sich Israel nun aber in einem faktischen Kriegszustand mit dem Iran, ändert das auch die Bewertungsgrundlage für den 13.6. War es ein Erstschlag Israels gegen den Iran oder eine Etappe in einem bestehenden kriegerischen Konflikt? Gegen eine Rechtfertigung des 13.6. mit dieser Begründung - Teil eines bereits bestehenden Konfliktes, wie es Netanyahu auch mit Verweis auf die Iran proxies angesprochen hat [6] - könnte angeführt werden, dass eben diese Hilfstruppen und auch das Regime Assads in Syrien, das eine große Rolle als Verbindungsglied spielte, bereits ausgeschaltet waren (im Falle der Hisbollah zumindest massiv geschwächt), und somit dieser Konflikt de facto beendet war. Auf der Gegenseite kann man aber argumentierten, dass mit dieser Niederlage Irans dessen Ziel atomarer Aufrüstung für ihn nur noch dringender wurde um dieses Machtverhältnis wieder zu ändern.
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[4] Zusammenfassung der Debatte: United Nations / Meetings Coverage and Press releases: Tenth Emergency Special Session, >40th & 41st Meetings, 27.10.2023.
[5] Cf. Das iranische Atomprogramm und der Konflikt mit Israel – eine Chronologie der Eskalation, >Redaktionsetzwerk Deutschland, 16.6.2025.
[6] Cf. Video und Transkription (englisch) >American Rhetoric - Online Speech Bank
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Präventiv, präemptiv etc.
Das im Deutschen gebräuchliche Adjektiv präventiv ist aus dem internationalen politisch-juristischen Sprachgebrauch nahezu verschwunden [7], obwohl es ja um lat. praevenire / zuvorkommen geht: Dem beabsichtigten Angriff des Feindes zuvorkommen um durch das Überraschungsmoment einen Vorteil zu erlangen und damit den beabsichtigten Vorteil des Gegners in der umgekehrten Konstellation zu konterkarieren oder um den Gegner überhaupt von dem beabsichtigen Angriff abzuhalten, ihm also in beiden Fällen die Möglichkeit des Erstschlags zu nehmen. Das erste Szenario entsprach der Situation im Juni 1967, als die Offensive der an der Grenze zu Israel aufmarschierten ägyptischen Truppen, verbündet mit Jordanien und Syrien, augenscheinlich kurz bevorstand. Es gab aber keine Anerkennung des Selbstverteidigungsfalls Israels in der UNO, jedoch auch keine Verurteilung Israels diesbezüglich, vielmehr nur einen Appell danach auf die Rückkehr zum Status quo ante. [8] Das zweite Szenario ist das aktuelle gegen den Iran, der daran gehindert werden soll, dank der kurz vor der Vollendung stehenden Urananreicherung Atomwaffen herzustellen (ca. 400 kg 90%ig angereichertes und damit spaltbares, waffenfähiges Uran ergäben ungefähr 9 Atombomben, nach Aussage von Netanyahu, basierend auf den Angaben der IAEA [9]).
Im englischen, genauer gesagt: amerikanisch dominierten Sprachbereich entstand v.a. im Kontext der Reaktion auf 9/11 und die US-Invasion im Irak 2003 eine Hochkonjunktur für das Wort “präemptiv”, weil US-Präsident George W. Bush den Krieg gegen das Regime von Saddam Hussein damit besser verteidigen zu können glaubte, obwohl er das Gegenteil von präemptiv war: Saddam Hussein war kein Unterstützer der Al-Qaida wie Afghanistan und die Geheimdienstinformationen über irakische Massenvernichtungswaffen waren zudem eine Fälschung, mit der selbst der US-Außenminister Powell hereingelegt wurde.
“Präemptiv” soll einen engeren Bezug zu einem bevorstehenden gegnerischen Angriff suggerieren als “präventiv”, das semantisch weiter im Vorfeld meint. Die Unterscheidung ist jedoch künstlich und der Begriffsgebrauch ist sehr schnell politisch motiviert, wie im genannten Fall. [10]
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[7] Cf. Wikipedia: Präventivschlag (2025) - “Preemptive Strikes” - Eine neue sicherheitspolitische Realität, Internationale Politik 6/2004.
[8] Cf. Björn Schiffbauer: Vorbeugende Selbstverteidigung im Völkerrecht. Eine systematische Ermittlung des gegenwärtigen friedenssicherungsrechtlichen Besitzstandes aus völkerrechtsdogmatischer und praxisanalytischer Sicht. Berlin (Duncker & Humblot) 2012, S. 375f.
[9] Cf. David Albright / Sarah Burkhard / Spencer August Faragasso: Analysis of IAEA Iran Verification and Monitoring Report – May 2025, >Insitute of Science and International Security, 9.6.2025.
[10] Vgl. dazu Schiffbauer, op. cit., S. 288.
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Die Begründung in der Debatte über den israelischen “Präemptivschlag” gegen den Iran dreht sich grundsätzlich um die Frage der völkerrechtlichen Berechtigung und damit verbunden konkret um die Frage nach der Imminenz der Bedrohung, also “unmittelbar” oder nicht. Diejenigen, die meistens recht pauschal mit dem “Völkerrecht” argumentieren, bestreiten diese Berechtigung. Der rechtliche Bezug, benannt oder nicht, ist zuvorderst Art. 51 der UN-Charta [sowie, grundsätzlicher, Art. 2 (4)]
Art. 2 (4). 4. Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.
Art 5. Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat. Maßnahmen, die ein Mitglied in Ausübung dieses Selbstverteidigungsrechts trifft, sind dem Sicherheitsrat sofort anzuzeigen; sie berühren in keiner Weise dessen auf dieser Charta beruhende Befugnis und Pflicht, jederzeit die Maßnahmen zu treffen, die er zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit für erforderlich hält.” [11]
Wie man sieht, steht hier gar nichts von “präventiv” etc., sondern nur vom Recht auf Selbstverteidigung. Die v.a. von US-amerikanischen Politologen und Juristen vorangetriebene, aber auch schon vorher diskutierte, erweiterte offene Interpretation dieses Rechts auf Selbstverteidigung beurteilt die Unterscheidung zwischen reaktiver und präemptiver Verteidigung als obsolet mit der sog. Webster-Formel (nach einem historischen Fall von 1837/41), wenn es eine Notwendigkeit zum Handeln gibt und keine anderen Möglichkeiten (ultima ratio). Das ist dann immer eine Darlegungs- und Interpretationsfrage mit der Möglichkeit politischen Missbrauchs. In der polit-juristischen Diskussion unter Fachleuten entstanden daraus Begriffe wie “präventive/vorbeugende”, “präsemptive” oder “antizipierende Selbstverteidigung.” [12]
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[11]Vereinte Nationen / UNRIC - Regionales Informationszentrum der vereinten Nationen: >Die Charta der Vereinten Nationen.
[12] Vgl. Schiffbauer, op. cit., S. 49-71.
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Zur Frage des zeitlichen Abstandes kommt für die Bewertung kommt noch hinzu, wie gravierend das vorherzusehende Ereignis ist: Mit dem Gravitätsgrad steigt auch der akzeptable Imminenzzeitraum, d.h. bei einem äußerst gravierenden Ereignis – im vorliegenden Fall wäre das wohl eine atomare Bedrohung –, wie im vorliegenden Fall: eine atomare Bedrohung, würde man auch einen entsprechend frühzeitigen Zeitpunkt für das „antizipatorische“ etc. Handeln zugestehen. Dasselbe gilt für die Frage von Evidenz oder Wahrscheinlichkeit der Bedrohung. [13] Am weitesten geht die „Latenztheorie“:
Sie erlaubt bereits dann vorbeugende Selbstverteidigungshandlungen, wenn sich ein schadenskausales Ereignis als Folge einer abstrakten (aber latenten) Gefahr unabhängig von der Höhe der Wahrscheinlichkeit seines tatsächlichen Eintritts und ohne indikationsspezifischen Verknüpfungszusammenhang zumindest jederzeit (und zu ergänzen wäre das häufig Unausgesprochene: an jedem Ort) zu Lasten des sich vorbeugend Verteidigenden materialisieren könnte, also gleichsam latent ‚in der Luft‘ liegt.“ [14]
Grund für diesen Interpretationsspielraum ist die Tatsache, dass der scheinbar klar formulierte Art. 51 der UN-Charta bei eingehender Betrachtung doch nicht so eindeutig ist. Bereits die textlichen Unterschiede zwischen den fünf autorisierten Sprachfassungen (Englisch, Französisch, Spanisch, Russisch, Chinesisch) ermöglichten differenzierte Auslegungen. [15]. Es ist ein Meisterbeispiel für die kulturelle semantische Verankerung von sprachlichem Aussagen. Unabhängig von diesen Nuancen gibt der Bezug auf das „naturgegebene Recht“ nach deutscher Übersetzung (engl. inherent right; frz. droit naturel) Anlass zur Interpretation, inwiefern sich dieser Passus auf vorheriges Recht und mithin Gewohnheitsrecht beruft und dieses daher mit einzubeziehen ist, was interpretatorisch ein weites Feld eröffnet. Methodisch sind dafür Grundsätze zur berücksichtigen, die von der UN im Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge niedergelegt wurden [16], das aber wie alle Zusatzverträge von den Mitgliedsstaaten gesondert anerkannt werden muss. Standards für eine Interpretation der UN-Charta sind also ebenfalls dem Willen dazu unterworfen.
Was heißt überhaupt Selbstverteidigung? Gilt die „Schadensabwehr“ als inhaltliche Bestimmung durch deren Zielsetzung, so eröffnet sich schon von da aus ein Raum ins Präventive:
„Das ultima-ratio-Prinzip erfordert aber nicht zwangsläufig, dass ein schädigendes Ereignis bereits geschehen sein muss; dafür genügt auch eine bevorstehende Selbstverteidigungslage, welche nicht anders abgewendet werden kann.“ [17]
In diesem Fall wäre es das durch die IAEA konstatierte Scheitern der bisherigen diplomatischen Bemühungen, wonach der Weg des Iran zur Atombombe ohne gewaltsame Intervention nicht mehr zu verhindern ist. Damit argumentierte der israelische UN-Botschafter im Sicherheitsrat: „Wir haben darauf gewartet, dass die Diplomatie funktioniert.“ „Wir haben zugesehen, wie sich die Verhandlungen hinzogen, während der Iran falsche Zugeständnisse machte oder die grundlegendsten Bedingungen ablehnte.“ [18]
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[13] Cf. a.a.O., S. 169, 177.
[14] A.a.O., S. 179f.
[15] Ausführlich in Schiffbauer, S. 289-341.
[16] Wiener Abkommen über das Recht der Verträge, 23.5.1969, fedlex
[17] Schiffbauer. S. 314f. Zum Begriff „Schadensabwehr“ zahlreiche Einträge im Buch.
[18] Zit. nach: Gegenseitige Vorwürfe im UN-Sicherheitsrat, tagesschau, 14.6.2025.
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Insgesamt ist zu sagen: Wer behauptet, dass dass die Antwort auf all diese Fragen grundsätzlich, und damit auch auf den konkreten Fall vom 13.6. bezogen, unter Völkerrechtlern „klar“ seien, und zwar im Hinblick auf eine mehrheitliche Ablehnung von präventiver Gewalt im Grundsätzlichen, hat keine Ahnung von der Komplexität dieses Themas und gibt im konkreten Fall des 13.6. die Aussagen von drei oder vier Experten (die meistens nach Anzahl und Namen anonym bleiben) manipulativ als eine Mehrheit aus. Zwei deutsche Völkerrechtler, hierzu beispielhaft genannt, vertreten die entgegengesetzten Ansichten, Andreas Paulus von der Universität Göttingen und ehemaliger BVG-Richter die enge: „Die explizite latente Bedrohung Israels durch das Mullah-Regime ist zwar ernstzunehmen, reicht allein aber nicht aus für eine erlaubte Selbstverteidigung.“ –, Matthias Herdegen von der Universität Bonn die weiter gefasste: „Wir haben hier also eine besondere Situation, in der wir zwar nicht davon ausgehen können, dass der Iran in den nächsten Tagen einen Atomangriff ausführt, es aber irgendwann zu spät sein wird, dies zu verhindern.“ [19]
Unabhängig von dieser Ausweitung des Selbstverteidigungsrechts gab und gibt es auch Stimmen in den USA, die die UN-Charta diesbezüglich ohnehin für überholt halten, nämlich durch die Herausforderung durch Massenvernichtungswaffen und Terrorismus [20],. hinzu kommen in jüngster Zeit die „Cyber Attacks“. [24]. Angesichts dessen, dass aber keine Reform der UN-Charta erfolgte, beziehen sich die medialen Diskussionen weiterhin sehr konservativ auf das Vorhandene und sogar einen sehr eng gefassten Wortlaut.
Ronen Steinke, Mitglied der Jüdischen Gemeinde Berlin, Völkerrechtsexperte, Journalist der Süddeutschen Zeitung und kritischer Kommentator der israelischen Politik, fasst dies in Bezug auf den 13.6. am Ende einer Pro- und Contra-Abwägung exemplarisch so zusammen:
“Da sind die völkerrechtlichen Regeln sehr klar, sie verbieten einen militärischen Angriff, solange nicht auf der iranischen Seite tatsächlich ein direkter Angriff auf Israel unmittelbar bevorstand.” [22]
Gleichzeitig überschreibt er aber seinen Kommentar: “Niemand darf von Israel verlangen, dass es einfach zuwartet.” Was gilt also? Und was ist überhaupt ein “direkter Angriff” und was heißt “unmittelbar bevorstehend”? Wenn fertige Atomraketen abschussbereit sind?
Cornelius Adebahr, Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, sieht dies ganz grundsätzlich, hierin durchaus repräsentativ für viele, die wir auch in TV-Talks sehen. Er sieht eine “regellose Welt” kommen - so der Titel in der Printausgabe der taz, online heißt es “Völkerrechtliche Zeitenwende” - denn
“die westliche Doppelmoral im Umgang mit dem Völkerrecht trägt mehr zu Erosion des Völkerrechts bei als der offene Regelbruch mancher Autokraten. Der israelische Angriff auf iranische militärische und nukleare Einrichtungen markiert eine Wasserscheide für die Region, aber womöglich auch für die Welt. Denn in der Reaktion der Weltgemeinschaft wird sich zeigen, ob es mittelfristig noch so etwas wie eine internationale Ordnung gibt, die zwischenstaatliches Handeln einhegt. Oder ob wieder das Recht des Stärkeren gilt, das in vergangenen Jahrhunderten zu dauerhaften Kriegen geführt hat.” [23].
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[19] „Am problematischsten ist die Indifferenz anderer Staaten“. Interview mit Andreas Paulus, Legal Tribune Online, 21.6.2025; Israels Präventivschlag: „Irgendwann wird es zu spät sein.um einzugreifen.“ Interview mit Matthias Herdegen, beck-aktuell / Heute im Recht, 30.6.2025.
[20] Cf. u.a. Deutscher Bundestag / Wissenschaftliche Dienste: Zum Konzept der präemptiven Selbstverteidigung. Ausgewählte Stimmen aus der internationalen völkerrechtlichen Literatur, 2007, >bundestag.de
[21] Cf. hierzu Schiffbauer, S. 421f.; Strategisches Konzept der NATO 2010, Wikipedia
[22] Ronen Steinke: Niemand darf von Israel verlangen, dass es einfach zuwartet, >SZ 16.6
[23]. Cornelius Adebahr: Regellose Welt, taz (Print) 19.6.2025. S. 12 / Völkerrechtliche Zeitenwende (Online), taz.de
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Iran und Uran
Auch hier steht im Mittelpunkt: War der Angriff “präemptiv”? “Eine unmittelbare Gefahr” habe aufgrund der laufenden Atomgespräche zwischen USA und Iran nicht bestanden, meint Adebahr, selbst “wenn die Berichte der Internationalen Atomenergiebehörde auf eine gesteigerte Urananreicherung und mangelnde Kooperation seitens Teherans hindeuteten.” - “...hindeuteten”? Diese Formulierung bleibt weit hinter der Erklärung der IAEA vom 12. Juni zurück und hat geradezu beschönigenden Charakter. Die IAEA stellte (a) den faktischen Boykott der Überprüfung der Atomanlagen durch die IAEA vor Ort fest, (b) ) dass dies Teil einer zunächst bis Anfang der 2000er Jahre gegenüber der IAEA verschwiegenen und nach Unterzeichnung des Non-proliferation-Abkommens (NPT) 2003 insgeheim weitergeführten Aktivität ist und (c) somit ein definitiver Bruch dieses Abkommens – von dem Abkommen von 2015 ganz zu schweigen. (Einige der umfangreichen Details werden hier rechts im Original wiedergegeben, [24].). Das bewirkte den Abbruch der Arbeit der IAEA im Iran mit dem Ziel einer Anrufung des UN-Sicherheitsrats.
Was bedeutet es nun aber, dass die IAEA nicht nur zum Stand der Dinge bereits am 9.6. und schon am 1.6., dann aber ultimativ am 12.6. feststellte, dass es für die massive Uran-Anreicherung “keine Erklärung” gebe - d.h. keine für eine zivile Nutzung -, sondern dass der Iran wichtige Details seines Nuklearprogramms sogar von Anfang an der IAEA vorenthalten, also die Weltöffentlichkeit getäuscht hat?
Dies scheint die früheren Mahnungen Netanyahus zu bestätigen, der ständig davor warnte, noch vor dem Abschluss des Abkommens von 2015, das er verhindern wollte, und danach nicht müde wurde zu erklären, der Iran hintertreibe das Abkommen und damit auch den Non-Proliferation-Treaty, der noch unter dem Schah 1970 unterzeichnet wurde, und arbeite unter der Hand an der Erzeugung von atomwaffenfähigem Uran. Netanyahu konnte aber seine Geheimdienstinformationen nicht preisgeben und auch keine Alternative zu dem Abkommen aufzeigen außer weiteren Sanktionsmaßnahmen. Dies war genau das, was Trump mit seinem Ausstieg 2018 tat und den Iran damit nur noch intensiver daran arbeiten ließ, da es nun keine Vorteile durch das Agreement mehr gab - freierer Handel mit dem Westen -. während der Vertrag selbst für den Iran ohnehin nur ein Lippenbekenntnis war. Ob die Fortsetzung des Abkommens von 2015 diese Entwicklung verhindert hätte, ist zweifelhaft nach dem jetzigen Kenntnisstand, aber vielleicht verlangsamt? Jedenfalls beschleunigte es sich nach der Aufkündigung. Dafür wissen wir nun aber klarer, was von den zuletzt wieder angelaufenen Gesprächen zu halten war: nichts.
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[24] Auszug aus der Resolution der IAEA vom 12.6.2025: (e) “Regretting that [...] Iran has failed to provide the co-operation required under its Safeguards Agreement”; (f) “Noting [...] that Iran did not declare nuclear material and nuclear-related activities at three undeclared locations in Iran”; (g) “Noting with concern the Agency’s conclusionm that these undeclared locations were part of an undeclared, structured programme carried out by Iran until the early 2000s, and that some of these activities used undeclared nuclear material; (h) (h) Noting with concern the Agency’s conclusion that Iran retained unknown nuclear material and/or heavily contaminated equipment, and other assets, arising from the former undeclared structured nuclear programme, at Turquzabad in the period 2009 until 2018, after which items were removed from the location, the whereabouts of which remain unknown; (m) Noting, in this context, the Director General’s serious concern regarding the rapid accumulation of highly enriched uranium by Iran, the only State without nuclear weapons that is producing such material, which the Director General notes the Agency cannot ignore given the potential proliferation implications,”” [...] IAEA Board of Governors, GOV/2025/38, 16.6.2025: NPT Safeguards Agreements with the Islamic Republic of Iran. Resolution adopted on 12 June 2025 during the 1769th session. iaea.org
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Die hochgespielte Frage, wann denn eine reale Bedrohung durch iranische Atomwaffen “unmittelbar bevorstehe”, ist angesichts der offiziell festgestellten Lage realitätsfern. Die immer wieder zitierte Äußerung von Netanyahu, das könne noch “Monate oder sogar ein Jahr” dauern, ändert nichts am Handlungsbedarf. Wie nahe soll’s denn sein: Wochen, Tage? Der Gang der IAEA vor den UN-Sicherheitsrat hätte nichts bewirkt. Was hätte der denn beschließen sollen? Zwangsmaßnahmen gegen den Iran - und welche? - wären ohnehin am Veto Russlands gescheitert. Es wäre nur noch mehr Zeit sinnlos verstrichen.
Es ist signifikativ, wie wenig in der Debatte die entscheidende Verlautbarung der IAEA vom 12.6. berücksichtigt wird, geringgeschätzt oder sogar beschönigt, wie oben schon an einem Beispiel zitiert. In der Zeit vom 18. Juni, mehrere Tage boten sich also zur Reflexion, spielt die IAEA kaum eine Rolle. So heißt es zwar auf der ersten Seite: “Zwar hat sich der Iran der Überwachung durch die Internationale Atomenergieorganisation (IAEA) immer wieder entzogen und seine Urananreicherung fortgesetzt, angeblich zu zivilen Zwecken.” Voraus geht jedoch: “Nach allem, was wir wissen, ist Israel durch den Bau der iranischen Bombe nicht akut gefährdet.” Und danach folgt: “Aber von angereichertem Spaltmaterial bis zu einer funktionsfähigen Bombe ist es immer noch ein großer Schritt.” [25].
In einer hervorragenden, einfühlsamen Darstellung von Netanyahus jahrzehntelanger Obsession, man könnte wieder einen herannahenden Holocaust nicht rechtzeitig erkennen, wie damals schon, vor dem auch sein Vater bereits 1933 warnte, vergisst Jan Roß in derselben Zeit–Ausgabe die Realität, als ob es sich nur um eine Obsession Netanyahus handele: “Er meint es tödlich erst.” - “Er glaubt an eine historische Mission.” [26]. Eine von ihm entfachte kollektive Obsession - in Israel “breiter nationaler Konsens” geworden - oder eine berechtigte Angst? Beides muss sich nicht widersprechen. Und auf der Gegenseite emint es das iranische Regime (mit wer weiß wie vielen Iranern?) vermutlich auch tödlich ernst.
Lea Frehse fragt: “Geht es nur um die Bombe?” Was rhetorisch die Antwort schon mitliefert. Auf die IAEA geht sie ein mit den Worten, der israelische Angriff erfolgte “unmittelbar nachdem die Internationale Atomenergiebehörde den Iran in einer Resolution abgemahnt hatte. Das Land halte sich nicht an getroffene Vereinbarungen.” [27}. Immerhin wird ein zeitlich-kausaler Zusammenhang hergestellt, doch das banale “Abmahnen” klingt danach, als erwarte die IAEA noch etwas vom Iran.. Und immerhin wird damit auch der Grund für Israels Angriff nicht ganz demontiert, dafür aber der erhoffte Erfolg: “Die Atomanlagen selbst aber, davon gehen Experten aus, kann Israels Militär allein kaum zerstören, denn die liegen in Bunkern tief unter den Bergen. Israel kann das iranische Regime treffen, das Atomprogramm beendet es damit noch nicht.” Wäre der Präventivsachlag ohne die Hilfe der USA also ein Fehlschlag?Sehen wir mal von den “berühmten Experten” ab, die alle Autoren in der Hinterhand haben und meistens auch dort belassen, so geht die Journalistin auf der anderen Seite davon aus, und das ist ziemlich einzigartig, dass der regime change gelingen könne, aber nichts bringe, da das Atomprogramm nicht an die Mullahs gebunden sei.
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[25] Matthias Naß: Krieg und Hybris, Die Zeit Nr. 26/2025, 18.6.2025, S. 1; >Zeit Online.
[26] Jan Roß: Er meint es tödlich ernst, a.a.O., S.2 / >Zeit Online.
{27] Lea Frehse: Geht es nur um die Bombe? a.a.O., S. 4 / >Zeit Online
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Am Tag vor dem Erscheinen dieser Ausgabe der Zeit gab es online einen Kommentar von Mark Schieritz zur rechtlichen Frage des Präventivschlages: “Das Völkerrecht schützt auch Schurkenstaaten.” [28]. Eine deutlich Aussage - ich dachte immer, das Recht sei geschaffen, um die Schurken zu bekämpfen und zu bestrafen. Doch “der Iran hat Israel nicht angegriffen. Und ein solcher Angriff stand nach allem, was man weiß, auch nicht unmittelbar bevor.” Und der Iran hat auch Art. 2 der UN-Charta „Androhung oder Anwendung von Gewalt” nicht verletzt. Dabei streitet der Autor gar nicht ab, dass der Iran ein “menschenverachtendes Terrorregime” hat, “das viel Leid über seine Bevölkerung und die gesamte Region gebracht hat.” Damit auch über Israel? Dann wäre Israel in einer Verteidigungssituation, also sicher nicht mitgedacht. Israel ist somit aus der “gesamten Region” ausgeschlossen, obwohl es die Zielscheibe des Iran ist, weit vor dem Konflikt um die Herrschaft im Jemen. Doch viel wichtiger ist: Politisch und moralisch gibt es gute Gründe. “So wie moralisch sehr viel für die Schläge der Nato gegen Serbien sprach, mit denen eine humanitäre Katastrophe im Kosovo verhindert werden sollte.” Ein interessanter Vergleich, “nur ist Recht nicht dasselbe wie Moral”, auch wenn sich Rechtsnormen aus der Moral speisen, doch “das Recht gilt - innerhalb gewisser Grenzen - zunächst einmal auch dann, wenn es inhaltlich ungerecht ist.” Konkret: “Es reicht auch nicht aus, wenn Israel sich von einer möglichen iranischen Bombe bedroht fühlt (was ohnehin ein problematisches Argument ist, weil die Israelis selbst Atommacht sind und auf jeden Angriff mit der Auslöschung des Gegners reagieren können).” So meint der Autor ernsthaft. man könne es auf einen Atomkrieg zwischen beiden ankommen lassen? Oder er meint die dadurch induzierte Abschreckung? Ein ein Blick auf die Landkarte genügt um die Absurdität von beidem zu ermessen.
So kann der Herausgeber der Jüdischen Allgemeinen, Philipp Peyman Engel, in einem Gastbeitrag in der Zeit bzw. auf Zeit Online am 20.6. seiner Verbitterung über die meinungsmachenden Medien Ausdruck verleihen (und kritisiert dabei auch Zeit-Autoren): “Die öffentliche Meinung in Deutschland ist - wieder einmal - weitgehend gegen Israel.” [29]. Und argumentiert mit der politischen Realität: „Israel provoziert keinen Krieg. Israel ist der Krieg schon längst erklärt worden“ und „Iranische Atomwaffen werden in dem Moment, wo sie fertiggestellt sind, auf den jüdischen Staat zielen.“
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[28] Mark Schieritz: DAs Völkerrecht schützt auch Schurkenstaaten, >Zeit Online, 17.6.2025.
[29] Philipp Peyman Engel: Lieber schlechte Presse als schöne Nachrufe, >Zeit Online, 20.6.2025..
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Aber nicht abfeuern, meint Alexander Haneke in der F.A.Z., denn „die meisten Beobachter gehen davon aus, dass das Atomprogramm für das iranische Regime nie als Angriffswaffe, sondern als Lebensversicherung gedacht war. Insofern scheint ein ‚unmittelbar bevorstehender Angriff‘, der einen Präventivschlag völkerrechtlich rechtfertigen würde, in diesem Fall wenig plausibel.“ [30] Dass der Iran seine Atomraketen einfach so abfeuern würde, kann man sich in der Tat schwer vorstellen; dass es eine organisierte Judenvernichtung geben solle, glaubten während des Zweiten Weltkrieges lange Zeit noch nicht einmal die Alliierten, und dies trotz der Berichte, die ihnen von Augenzeugen zugespielt wurden. Daher ist dies weder ein rechtliches, noch ein politisches Argument, denn es gilt auch die Eventualität dessen, was die Experten nicht voraussehen. Ein weiteres Argument Hanekes ist, dass der Iran ohnehin schon geschwächt war, weil seine Proxies in der Tat umgefallen sind wie die Dominosteine. Deswegen ”sah es zuletzt so aus, als sei Iran durch die Rückschläge in Libanon und Syrien sowie durch den kurzen direkten Schlagabtausch mit Israel derzeit so geschwächt, dass es jede weitere direkte Konfrontation mit Israel vermeiden will.“ Oder aber erst recht ein Grund, jetzt endlich an die Atomwaffen zu kommen! Und alleine schon die Tatsache einer Atommacht Iran würde das politisch-strategische Gefüge des Nahen und Mittleren Ostens umkehren.
In der Zeit vom 26.6. wurde ein Streitgespräch zwischen Kai Ambos, Völkerrechtler aus Göttingen, und dem schon erwähnten Matthias Herdegen aus Bonn veröffentlicht, wo sich paradigmatisch Kritik des israelischen Angriffs und Rechtfertigung gegenüberstanden. Zum Prä-ventiv-Thema lag man grundsätzlich nicht so weit auseinander, was den zeitlichen Rahmen angeht, aber dafür in der inhaltlichen Frage der Selbstverteidigung. Auf den Hinweis von Herdegen, „Das Mullahregime hat die Vernichtung Israels zu seiner Leitphilosophie gemacht“, antwortet Ambos: „Es gibt auch andere Aussagen aus der iranischen Führung als die von Ihnen genannte. Staatschef Ali Chamenei hat beispielsweise gesagt, dass der Iran keine Nuklearwaffen wolle und deren Anwendung gegen den Koran verstoße. Die Ernsthaftigkeit dieser und anderer Äußerungen kann ich nicht beurteilen, ihre Substanz können allenfalls Geheimdienste bewerten.“ Was ist das für ein Gegenargument, wenn man selbst zugibt, dass man nicht weiß, ob es stimmt? Ein Argument zur Widerlegung der präventiven Selbstverteidigung, die man immer missbrauchen könne, die auch Putin für sich in Anspruch nehme und dem „sehr viele Leute glauben“. Dass die Absicht des Atomwaffenbaus durch die Urananreicherung von der IAEA unmissverständlich belegt wurde, also keine Glaubensfrage ist und auch nicht offen – „die einen sagen so, die anderen so“ – fiel in dieser Diskussion leider auch nicht.
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[30] Alexander Haneke: Das sagt das Völkerrecht zu Israels Angriff auf Iran, FAZ.net Aktuell, 13.6.2025 / in der Printausgabe 14.6.2025: Wann ist ein Präventivschlag erlaubt? Das Völkerrecht setzt enge Grenzen für eine Gewaltanwendung S. 8.
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G7, “Drecksarbeit”, Völkerrecht und Weltpolizeit
Im großen Kontrast zu den Medien waren die Staats- und Regierungschefs des G7-Gipfels am 17.6. erstaunlich eindeutig pro Israel:
„Wir bekräftigen, dass Israel das Recht auf Selbstverteidigung hat. Wir bekräftigen unsere Unterstützung für die Sicherheit Israels. […] Iran ist die Hauptquelle für regionale Instabilität und Terror. Wir haben stets deutlich gemacht, dass der Iran niemals eine Atomwaffe haben kann.“[31]
Immerhin betonten sie am Ende auch, dass es nicht nur eine Deeskalation zwischen Israel und Iran, sondern auch einen Waffenstillstand in Gaza geben müsse.
In seinem inzwischen berühmt-berüchtigten Interview mit dem ZDF am selben Tag ging Bundeskanzler Merz noch deutlich weiter, indem er das Stichwort von der Journalistin Diana Zimmermann aufgriff und sich zu eigen machte:
„Frau Zimmermann, ich bin Ihnen dankbar für den Begriff Drecksarbeit. Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht – für uns alle. Wir sind von diesem Regime auch betroffen. […] Ich kann nur sagen: Größten Respekt davor, dass die israelische Armee den Mut dazu gehabt hat, die israelische Staatsführung den Mut dazu gehabt hat, das zu machen. Wir hätten sonst möglicherweise Monate und Jahre weiter diesen Terror dieses Regimes gesehen - und dann möglicherweise noch mit einer Atomwaffe.”[32]
Diese spontane Reaktion fand ein überwältigendes Echo der Ablehnung in den Medien, wenn auch abgestuft von der Kritik an der unangemessenen Wortwahl bis zur inhaltlichen Ablehnung („Völkerrecht“ usw.). Der WDR hat hierzu eine kleine Sammlung von Beurteilungen zusammengestellt, wo Experten tatsächlich auch namentlich zitiert werden, ebenso die Legal Tribune Online, die von Haus zur wissenschaftliche Akkuratesse verpflichtet ist. [33]
Die eigentliche Frage ist aber folgende: Die Aussage behauptet ja, Israel habe nur das gemacht, wovon der Westen stets geträumt, es aber selbst nie zu tun gewagt habe. Ist es so? Dass der Westen nie wollte, dass der Iran die Atombombe bauen kann, stimmt gewiss, aber hat er selbst die Unzulänglichkeit seiner Verhandlungsstrategie je eingesehen? Und die Konsequenzen? Wollten die Staats- und Regierungschefs der G7 schon im Vornherein, dass Israel diese „Drecksarbeit“ macht? Ich glaube nicht. Trump jedenfalls hat Israel vor diesem Schritt gewarnt. Selbst wenn sie immer gewünscht haben, was sie sich nicht zu wagen trauten, dann bedeutet das doch, dass die internationale Weltordnung nur eine formale ist. Die Puristen des Völkerrechts – früher hätte man gesagt: die Paragraphenreiter – fordern die Einhaltung des Gewaltverzichts gegenüber jemandem, der mit Gewalt droht, und zwar tagtäglich mit Vernichtung, und über Dritte – die „Achse des Widerstandes“ – Terrorismus nicht davor zurückscheut und auch schon ausgeübt hat, über Dritte. „Das Völkerrecht gilt auch für Schurkenstaaten“ ist von einem superben semantischen Doppe-bzw. Widerlsinn: Gemeint ist es im Handeln gegen Schurkenstaaten, nicht für Schurkenstaaten, dass sie das Völkerrecht respektieren müssen, was Schurkenstaaten per Definition nicht tun.
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[31] G7-Staaten einigen sich auf Erklärung zum Iran-Israel-Krieg, >Zeit Online, 17.6.2025; ; G7 Leaders‘ Statement on Recent Developments Between Israel And Iran, June 17. 2025, G7 2025 Kananaskis
[32] Interview mit Merz, >ZDF Spezial 17.6.2026,
[33] Jörn Seidel: "Drecksarbeit" gegen Iran? Das ist dran an Merz' Lob für Israel, WDR, 18.6.2025; Franziska Kring: Wie Israel und Iran das Völkerrecht angreifen, Legal Tribune Online, 14.6.2025.
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In vielen Kommentaren zum 13.6. heißt es: Die regelbasierte Ordnung wird aufgegeben zugunsten des Rechts des Stärkeren. Damit wird der von Israel reklamierte Rechtsanspruch für seine Tat von vornherein beiseitegeschoben. Und wenn behauptet wird, dass jetzt die Regellosigkeit drohe, dann habe sie also bisher bestanden. Dem ist aber nicht so: Seit 1945 galt fast immer das Recht des Stärkeren und selten das Völkerrecht, obwohl es gerade damals als Beginn eines neuen Zeitalters proklamiert wurde. „Keine Großmacht auf dieser Welt würde eine existenzielle Bedrohungssotuation abwarten“, sagt daher auch Matthias Herdegen (siehe oben). Es gibt eine prinzipielle Kluft zwischen dem 1945 formulierten Recht für eine ideale Welt und der politischen Realität seither – und zwar von Anfang an und mit zunehmender Diskrepanz.
Das Völkerrecht gilt zum Teil nur für diejenigen, die es unterzeichnen. So die Anerkennung in letzter Instanz des Internationalen Gerichtshofes und des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag. Drei von fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats erkennen diese UN-Gerichte nicht an: Russland, China, USA. Dass heißt aber nichts anderes, als dass sie die internationale Rechtsordnung nicht anerkennen, von den Vereinten Nationen festgelegt, über deren Einhaltung die Gerichtshöfe Recht sprechen sollen. Wer Mitglied der UN wird, muss die UN-Charta unterschreiben. Wer aber hält sich daran? Wer ist bereit, sein eigenes Handeln daran messen zu lassen? Umgekehrt formuliert: Wie viele Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen respektieren die UN-Charta von 1945, d.h. den völkerrechtlichen Aspekt gegenüber anderen, sowie die UN-Menschenrechtscharta von 1948 bei sich zuhause?
Wo es Recht und Gesetz gibt, müsste es auch eine Strafverfolgung geben. Die gibt es aber international nicht in dem Sinne gegen Staaten, nur gegen individuelle Straftäter von Staaten, die die sich dem Abkommen angeschlossen haben. Israel hat das nicht, so wenig wie alle anderen Staaten des Nahen Ostens, außer Jordanien und der Palästinensischen Autonomiebehörde, die, obwohl kein Staat, in diesem Sinne anerkannt wurde.
Die Anklage (zunächst nur Haftbefehle) )gegen Ministerpräsident Netanyahu und den damaligen Außenminister Gallant wegen der Kriegführung in Gaza sowie gegen die drei hochrangigsten Hamas-Führer wegen des Terrorpogroms vom 7.10. konnte nur erfolgen, weil der Gaza-Streifen als Teil des virtuellen PalästSie hatte aber keine Hoheit über den Gazastreifen, es war die Hamas, diese wurde aber nie als hoheitliche Institution über Gaza anerkannt und damit auch nicht rechenschaftspflichtig für ihre Taten gemacht. Man kann also auf verschiedenen Wegen den Staat Israel wegen Verbrechen im Sinne der UN-Konventionen im Gaza-Streifen anklagen, aber nicht die dort faktisch Regierenden für ebensolche Verbrechen in Israel. Die drei Hamas-Führer, inzwischen von Israel getötet, sollten als Individuen angeklagt werden, Netanyahu und Gallant jedoch als Repräsentanten Israels in konkreter Verantwortlichkeit. Mit ihnen sitzt der Staat mit auf der Anklagebank und sieht sich drohenden internationalen Boykott- und Sanktionsmaßnahmen ausgesetzt, von vielen Staaten eigenständig schon vollzogen. Und ohne die nötigen Insiderinformationen dürfen wir fragen: Wurde die Anklage gegen die drei Hamas-Führer nur mit aufgenommen, um ein Gleichgewicht zu den Anklagen gegen die israelischen Politiker herzustellen? Wären sie auch alleine und nur wegen des Terrorpogroms vom 7.10. angeklagt worden?
Dass es internationales Recht gibt, aber keine Institution, die seine Befolgung durchsetzen kann wie im nationalen Strafrecht, betont am Ende des Streitgesprächs mit Kai Ambos (siehe oben) Mattias Herdegen. In der Tat: Es gibt internationales Recht, aber keine Weltpolizei und kein Weltgericht im genannten Sinne. Ambos entgegnet, dass mit diesem Argument der Anspruch des Rechts selbst aufgehoben werde.
Dieser Anspruch kann aber nur universell gemeint sein. Es gibt jedoch keine Welt-Policey im alten Sinne des Wortes, eine gültige gesittete Ordnung. Die USA wurden lange als „Weltpolizist“ apostrophiert, das waren sie aber nie, denn sie hätten sich selbst daran halten müssen. Recht ist per se universell, hier aber ist es partiell und das heißt auch parteiisch.
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Clausula sic rebus stantibus
Das europäische Rechtsverständnis und folglich das darauf basierende, durch Vereinbarungen gestiftete internationale Recht ist stark vom alten Römischen Recht mit seinen Anpassungen und Erweiterungen seit dem Mittelalter geprägt. Wichtig ist hier vor allem: Pacta sunt servanda - wörtl. “Den Verträgen muss gedient werden”, d.h. Verträge sind einzuhalten. Der römische Ursprung besteht nicht direkt, das Mittelalter hat hierin das Gewohnheitsrecht aufgewertet; das römische pactum meint eigentlich: mündliche (Neben-)Absprache), ähnlich wie im deutschen Begriff “auf Treu und Glauben” [34]. Im Völkerrecht ist das Gewohnheitsrecht aber durchaus wichtig, weil vieles seit der Antile auf dem sog. Naturrecht beruht, d.h. was allen Völkern als “natürlich”, selbstverständlich gilt (oder gelten sollte).
Daneben und meistens dagegen steht ein anderer Grundsatz: Clausula rebus sic stantibus - wörtl. “Die Klausel, wenn die Dinge konstant bleiben”, d.h. die Vertragsbestimmungen gelten nur, solange “die Dinge, um die es geht”, also die Rahmenbedingungen etc. gleich bleiben. Dies ist im Römischen Recht klar fundiert. Es kommt hierbei auf den Umkehrschluss an: Wenn sich die Voraussetzungen ändern, die Grundlage für den Vertrag waren, gelten eine, mehrere oder im Extremfall alle Bestimmungen des Vertrages de facto nicht mehr.
Rebus sic stantibus war also noch im Römischen Recht dem Pacta sunt servanda übergeordnet; letzteres sollte nur nicht vergessen werden. Es hat im Mittelalter und in der Neuzeit jedoch an Bedeutung erheblich zugenommen und bestimmt heute die Diskussion über die völkerrechtlichen Fragen.
Diese im Vertragsrecht zwischen zwei (oder mehreren) Vertragschließenden geltenden Prinzipien sind nur mit Einschränlungen so auf das Völkerrecht anwendbar. Gewiss gilt Pacta sunt servanda, dies kann fast schon als ein naturrechtliches, d.h. selbstverständliches Prinzip gelten, weil einen Vertrag zu schließen nur Sinn macht, dass man sich daran hält. Vorausgesetzt ist natürlich, dass es eine freie Vereinbarung ist.
Der Appell ans Völkerrecht bezieht sich auf die UN-Charta und damit auf ein Regelwerk, das 80 Jahre alt und entsprechend veraltet ist. Die Bedrohungsszenarien, um die es heute geht, existierten damals noch nicht und konnten auch noch nicht vorausgesehen werden. Auch der Anstoß, den 9/11 dazu gab, hat noch nichts substanziell daran verändert. Das Prinzip rebus sic stantibus war aber nun schon in der Antike Resultat einer weisen Voraussicht, dass Situationen eintreten können, die sich gravierend von denen unterscheiden, die Voraussetzung für einen Vertrag oder ein Gesetz waren.
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[34] Wikipedia Pacta sunt Servanda / Clausula rebus sic stantibus ; Pacta aunt servanda - Bedeutung, Historie, Anwendung im Zivil- und öffentlichen Recht, >Juraforum
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Dass die völkerrechtlichen Richtlinien der UN-Charta für Selbstverteidigung und Gewaltanwendung im Kontext von 2001 von den Vereinten Nationen (resp. dem Sicherheitsrat) selbst schon als veraltet angesehen werden, zeigt die Resolution 1368 des UN-Sicherheitsrats zum Afghanistan-Einsatz “Enduring Freedom” der USA und ihrer NATO-Verbündeten vom 12.9.2001, drei Tage nach dem Anschlag auf das World-Trade-Center. Nicht nur, dass es hier um die fragliche Einstufung des Terrorismus und der Gegenwehr in das Völkerrecht ging, die Resolution autorisierte auch die militärische Intervention gegen den Staat Afghanistan, der beschuldigt wurde, Al-Qaida zu beherbergen und zu unterstützen, also an den Anschlägen beteiligt gewesen zu sein. Darin heißt es:
„Der Sicherheitsrat […], in Anerkennung des naturgegebenen Rechts zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung im Einklang mit der Charta, 1. verurteilt unmissverständlich mit allem Nachdruck die grauenhaften Terroranschläge, die am 11. September 2001 in New York, Washington und Pennsylvania stattgefunden haben, und betrachtet diese Handlungen, wie alle internationalen terroristischen Handlungen, als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit; […] 4. fordert alle Staaten dringend zur Zusammenarbeit auf, um die Täter, Organisatoren und Förderer dieser Terroranschläge vor Gericht zu stellen, und betont, dass diejenigen, die den Tätern, Organisatoren und Förderern dieser Handlungen geholfen, sie unterstützt oder ihnen Unterschlupf gewährt haben, zur Verantwortung gezogen werden;“ [35]
Eine grundlegende Reform des Völker- und Kriegsrechts ist daraus jedoch nicht hervorgegangen, es blieb bei einer Einzelfallentscheidung, deren politisch-rechtliche Bedeutung als Präzedenzfall seither die Debatten und die Fachliteratur füllt; eine klare, grundsätzliche Haltung zum Terrorismus ist bislang auch nicht erfolgt, wie schon am Beispiel Hamas angesprochen, allenfalls Detailfragen wurden geklärt. Hätte sich Israel nicht selbst schon dem Vorwurf des Völkerrechtsverstoßes ausgesetzt, v.a. durch die Besatzungspolitik der letzten zwei bis drei Jahrzehnte, so hätte es hier die Resolution 1368 ganz unabhängig von der Atomfrage als Rechtfertigung für sein Vorgehen gegen den Iran heranziehen können. Der Iran hat nicht nur durch sein Terrorismus-Netzwerk gegen Grundsätze des Menschen- und Völkerrechts verstoßen, er hat auch gegen Art. 2 der UN-Charta verstoßen, die schon eine “Androhung von Gewalt” verurteilt! (Siehe oben).
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[35] Resolution 1368 des UN-Sicherheitsrates, Wikipedia
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Bilanz 27.6.2025
Der Iran hat nicht nur durch sein Terrorismus-Netzwerk gegen Grundsätze des Menschen- und Völkerrechts verstoßen und damit dei feindseligen Handlungen gegen Israel eröffnet,, er hat auch gegen Art. 2 der UN-Charta verstoßen, die schon eine ”Androhung von Gewalt” verurteilt (siehe oben), und zwar direkt und existenziell gegen Israel.
Ist nun die massive Zerstörung der Atomanlagen nach der Intervention der USA erfolgt, wie Trump in seinem üblichen „Wir sind die Größten“-Triumphalismus brüstet, oder nicht, nach US-Geheimdienstinformationen? Und zwar behauptet ein anonym geleakter und damit bislang auch nicht verifizierbarer Bericht des Militärischen Geheimdienst das Gegenteil: Die Die verursachten Schäden würden den Iran nur um Monate zurückwerfen. Diese Informationen wurden am 24. Juni nur indirekt über verschiedene Medien – New York Times, Washington Post, CNN – verbreitet durch Journalisten dieser Medien und eingeholte Kommentare von Experten. [36] Trumps selbst bezeichnete dies in üblicher Weise als fake news seiner gegnerischen Medien, die Pressesprecherin des Weißen Hauses bestätigte den Geheimdienstbericht, aber nicht dessen publizierten Inhalt. Dabei wird es vermutlich noch eine Weile bleiben.
Der Bericht bezog sich nur auf den amerikanischen Angriff auf die Anlage von Fordo. Die Iraner hatten offenbar zuvor das Uran aus der Anlage mit einer Transportkolonne fortgebracht. Unabhängig davon sei aber der impact der bunker buster-Spezialbomben ebenfalls relativ gering. US-Geheimdiensten – und vielleicht allen – darf jedoch nicht per se vertraut werden, sie verfolgen auch eigene Ziele, die sich mit denen der jeweils aktuellen Regierung decken können oder nicht. In Israel versucht Netanyahu, die Geheimdienste unter seine Kontrolle zu bekommen. 2001 präsentierte die US-Regierung Falschinformationen des Geheimdienstes über Iraks Massenvernichtungswaffen, die gezielt gefälscht worden waren um einen Angriffsgrund gegen Saddam Hussein zu haben. Der kontextuelle Kommentar vor allem in der NYT zeigt klar ein politisches Interesse an der Veröffentlichung, weil man damit beweisen will, dass der Angriff falsch war und sogar kontraproduktiv, da der Iran jetzt mit noch mehr Energie die Atombewaffnung vorantreiben werde. Israel und die USA hätten ihre begrenzten Fähigkeiten unter Beweis gestellt und nichts mehr im Petto: ”They shot their shots“ sagt ein interviewter ehemaliger Mitarbeiter im National Security Council von Obama. Man kann nicht umhin festzustellen, dass an Trumps Vorwurf der politisch interessegeleiteten Journalistik gegen ihn etwas dran ist; leider gilt umgekehrt, dass man Verlautbarungen aus dem Trump-Lager überhaupt nicht glauben kann. – Die Wahrheit stirbt zuerst, die Polarisierung in den USA, aber darüber hinaus, lässt kaum noch einen Spielraum für eine kritische und selbstkritische Publizistik.
In diesem Kontext geht es auch nur um den US-Angriff auf Fordo. Inwieweit schon die israelischen Angriffe die technische Infrastruktur der Anlagen soweit beschädigt haben, dass dies einen größeren Stillstand des Atomprogramms nach sich zieht, ist damit nicht geklärt. Und dass “die letzte Patrone verschossen wurde“ auch nicht. Vielmehr ist so oder so zu erwarten, dass das Problem weiter besteht. Nur eines scheint eine klare Erkenntnis daraus zu sein: Die israelische Aktion kam zu spät. Netanyahu wollte dies offenbar schon im Oktober letzten Jahres – und letztlich schon seit vielen Jahren –, aber im politischen Umbruch nach der Wahl kam kein grünes Licht aus Washington. Trump war auch jetzt noch nicht bereit, doch nach dem Bericht der IAEA gab es einen ultimativen Zugzwang. Offenbar haben die Iraner dies auch schon so gesehen und noch vor dem israelischen Angriff bereits angefangen Uran aus den dann von Israel bombardierten Anlagen zu verlegen.
Soweit hierzu nach aktuellem Stand.
Die anderen Probleme – besetzte Gebiete, Gaza, “Palästinenserproblem“ – sind damit nicht gelöst und der Erfolg für die Regierung Netanyahu spricht dafür, dass sie das auch nicht werden in dem Sinne, wie wir uns das gerne wünschten, nämlich mit einem Selbstbestimmungsrecht für die Palästinenser unter Wahrung der Sicherheit Israels. Dieses Problem bleibt bestehen und wird sich vermutlich noch verschärfen. Nach Informationen von Haaretz werden für den Herbst eine Parlamentsneuwahl geplant. Der jüngsten Umfrage zufolge bliebe Netanyahu auf jeden Fall weiter Ministerpräsident, wenn auch nicht mehr unbedingt mit der jetzigen Koalition. Er könnte aber mit einer gestärkten eigenen Fraktion und einer geschwächten Linken und Mitte leichter eine neue rechte Koalition bilden auch ohne die rechtsextremen Partner, von denen er im Augenblick abhängig ist. [36] Für das besetzte Westjordanland würde dies keine Änderung der Politik bedeuten, für den Gaza-Streifen eventuell schon.
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[36] Michelle Goldberg: Mission Not Accomplished, >New York Times, 24.6.2025.- Warren P. Strobel / John Hudson et al.: U.S. initial damage report: Iran nuclear program set back by months, not obliterated, >Washington Post, 25.6.2025.
[37] Poll: Netanyahu's Likud Gains Ground, His Coalition Remains Short of Knesset Majority, >Haaretz, 25.6.2025.
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