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Israel / Palästina - Nahostkonflikt  Aktuell

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Spektroradiometrisches Satellitenbild des
 Nahen Osten mit den eingezeichneten
 Grenzen von 1949.

Wikimedia Commons

 

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"Diesen klugen Ausführungen zu  der komplexen Geschichte
 Palästinas und Israels
kann ich nur  viele Leser 
wünschen!
Ein wichtiges Stück historische
 Aufklärung."
 

Prof. Dr. Lutz Raphael
Vorsitzender des Verbandes der
 Historiker und Historikerinnen Deutschlands.

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>>Nahost8

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Update: 8.10.2025

Auf dieser Seite: Die aktuelle Entwicklung seit dem 29.9.2025

1. Der Trump-Plan für Gaza vom 29. September - eine Chance? und wofür?

2. Zwei Jahre 7. Oktober -
Der Hass kommt weiterhin auf die Straße
>>direkt dorthin

3. Rückblick im Licht der NOVA-Ausstellung in Berlin: Friedensfest und Inferno >>direkt dorthin

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Analysen zum Geschehen seit dem 7.10.2023 und zu entscheidenden politischen Essentials dazu auf der vorherigen Seite:

Israel / Palästina - Nahostkonflikt (8) -
7.10.2023 / 13.6.2025
... und darüber hinaus  >>hier

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Ausführliche Chronologie der Geschichte Israels/Palästinas und Analysen zu einzelnen Themen bis zum 7.10.2023 auf den Seiten Nahost1-7 >>Start

 

 

 

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Karte mit den Phasen des israelischen Rückzugs ohne Terminierung nach dem Plan von Trump.
Wikimedia Commons

Der Trump-Plan für Gaza vom 29. September -
eine Chance? und wofür?

 

Der US-Präsident legte am 29.9.2025 beim Besuch des israelischen Ministerpräsidenten in Washington einen Friedensplan für Gaza vor, den er mit den bekannten Superlativen im Lob für sich selbst kommentierte. Der genaue Wortlaut kam erst am Tag darauf in die Medien [1]. Dieser 20-Punkte-Plan beinhaltet nur wenige konkrete Essentials und viele recht vage. Der ehemalige britische Premierminister Tony Blair, der zukünftig eine führende Rolle beim Übergang in Gaza spielen soll, legte wenig später eine Detaillierung vor, die trotzdem noch wichtige Fragen offen lässt [2].

Dies ist kein unübliches Phänomen. In den so viel gelobten und dann als gescheitert betrachteten Osloer Verträgen von 1993 und 1995 sind mehr Essentials weit offener geblieben und dennoch ist damit eine wesentliche Entscheidung gefallen, die heute noch die alleinige Basis für die Existenz der Palästinensischen Autonomiebehörde ist, auf der jetzt drei Viertel aller UN-Mitgliedsstaaten einen trotzdem virtuellen Staat Palästina anerkennen können.

Aber die heutige Lage bezüglich des Trump-Plans ist eine andere. Fast jeder der unklaren Punkte kann den ganzen Plan zum Scheitern bringen. Er beinhaltet fünf wesentliche Aspekte:

[1] Here’s What We Know About Trump’s Plan for Gaza, >New York Times, 30.9.2025

[2] Der “vertrauliche” Plan von Tony Blair wurde am  28.9. geleakt, cf. Gaza International Transitional Authority (GITA) Institutional Structure, >Haaretz, 28.9.2025 .

 

 

 

  • einen Waffenstillstand für die Freilassung der noch lebenden israelischen und die Übergabe der toten Geiseln im Austausch gegenüber Hunderten von palästinensischen Häftlingen in Israel, darunter wegen mörderischer Terrorattentate Verurteilter, und Kriegsgefangenen
  • die Niederlegung und Abgabe der Waffen der verbliebenen Hamas-Kämpfer
  • den Abzug der Hamas-Aktivisten bzw. den Verbleib derjenigen, die der Gewalt abschwören
  • den Rückzug der israelischen Streitkräfte unter Wahrung der Sicherheit Israels
  • die Verwaltung des Gaza-Streifens durch eine zivile, mehrschichtige Institution (im Blair-Plan konkretisiert) unter Beteiligung von Vertretern arabischer Staaten und der Palästinensischen Autonomiebhehörde

 

Der Plan enthält ferner eine vage Ankündigung von zukünftigen Gesprächen über einen palästinensischen Staat. Einerseits konnte das nicht konkreter benannt werden, weil Netanyahu sonst hätte nicht zustimmen können, andererseits hat auch niemand eine konkrete Vorstellung, wie das aussehen könnte. Es wurde vor allem nur aufgenommen um die Zustimmung der arabischen Partnerstaaten zu bekommen.

Würde der Plan in der anfangs unrealistisch kurz gesetzten Frist für die Annahme durch die Hamas so akzeptiert, würde dies den Krieg im Gaza-Streifen sofort beenden und überhaupt das Ende der israelischen Dominanz in der Gaza-Frage bedeuten. Donald Trump, der dafür unbedingt den Friedensnobelpreis will, hat dafür realen Druck auf Netanyahu ausgeübt, auch mit weiteren Erklärungen zum Nahostkonflikt, so dass das Westjordanland nicht annektiert werden dürfe. Nun kennt man den Wert öffentlicher Äußerungen des US-Präsidenten, aber nachdem er in der Ukrainefrage von Putin hereingelegt wurde, hat er hier eine weitaus bessere Position.

So hat Netanyahu zugestimmt und zuhause erklärt, dass es aber eine weitere Präsenz des israelischen Militärs im Gaza-Streifen geben werde, zumindest, wie im Plan stehend, in einem schmalen Grenzkorridor zu Israel. Seine rechtsextremen Koalitionspartner haben dies alles wie vorherzusehen abgelehnt und als Verrat des gesetzten Ziels der Vernichtung der Hamas gegeißelt. Bleibt es dabei, so kann Netanyahu, der weit mehr opportunistisch- pragmatisch geprägt als ideologisch verfestigt ist, mit der Opposition in der Knesset den Plan durchbringen, dadurch seine Koalition aufgeben und, wie seinerzeit Ariel Sharon, eine neue Richtung einschlagen, für die er gewiss eine Mehrheit auch in der Bevölkerung hätte. Und das wäre dann auch der beste Moment für eine Neuwahl des Parlaments, die ihn stärken und ihm eine Mitte-Rechts-Koalition ermöglichen könnte, und damit auch die Verwirklichung seines obersten Ziels, den Machterhalt.

 

 

All dies würde aber unter der Voraussetzung stehen, dass die Hamas ihrerseits den Plan akzeptiert, was eher unwahrscheinlich ist und wonach es konkret auch nicht aussieht, jedenfalls nicht in der vorliegenden Form. Gibt es Verhandlungsspielraum?  Zwar hat die verbliebene Hamas-Führung, die Netanyahu durch seinen Angriff auf deren Sitz in Doha (Qatar) vergeblich ausschalten wollte, dem Geisel-Gefangenen- Austausch zugestimmt, aber nicht der bedingungslosen Entwaffnung, außerdem fordert sie eine palästinensische Verwaltung (“a Palestininan body of independents (technocrats), based on Palestinian national consensus and Arab and Islamic support”, BBC)”  in Gaza [3]. Außerdem will die Hamas an der Diskussion über die Zukunft des Gaza-Streifens beteiligt sein, während der Trump-Plan das Gegenteil postuliert. Die Hamas äußerte sich nicht zur Frage ihrer Entwaffnung, was in den Medien so interpretiert wird, dass sie ebenfalls Vorbehalte dagegen hat. Le Monde berichtet von Stimmen aus Gaza, wonach die Bevölkerung das sofortige Kriegsende will, also die Annahme des Trump-Plans durch die Hamas, aber viele den Plan politisch ablehnen, weil er keine palästinensische Selbstbestimmung bringe, sondern nur ein neues Mandat der Fremdbestimmung über Gaza. [4]. Außerdem warnt die Hamas davor, dass der Plan den israelischen Rückzug nicht genau festlege. Mit dieser Äquivalenz soll ganz offensichtlich ihre eigene Entwaffnung hinausgezögert werden [5].

So war das noch am 6.10., als sich israelische und Hamas-Vertreter in Ägypten trafen.  Und tatsächlich hat dann wohl die Hamas bei den Verhandlungen in Sharm el-Sheikh am 6.10. die Bedingung gestellt, dass die letzte Geisel zeitgleich mit dem “vollständigen Rückzug” Israels freigelassen werde [5a]. Vorauszusehen war dadurch schon von vornherein, dass sich die Verhandlungen, die eigentlich nicht vorgesehen waren aber unvermeidbar sind, weiter hinziehen. “Sind alle Geiseln erst einmal frei, hat die Hamas keine Karten mehr auf der Hand”, hob die taz hervor [6].

Hinzu kommt der Umstand, dass es in der Hamas keine eindeutige Führungsstruktur mehr gibt. Die selbst ernannte Nachfolge-Führung sitzt im Ausland, eine militärische Führung vor Ort gibt es kaum mehr, verschiedene Personen melden sich gegenüber den Medien und versuchen darüber Einfluss zu bekommen. Von ihnen und vermeintlichen oder echten Leaks stammen die Informationen, die veröffentlicht werden.

Militärisch ist die Hamas bereits geschlagen, es geht nur noch darum, ihre endgültige Entwaffnung und damit auch politische Ausschaltung herbeizuführen. Die Hamas-Führung - zu diesem Problem siehe oben - sei darüber gespalten, vermutet man, die Märtyrerlogik bedeutet aber, dass sie durch einen Untergang im Kampf bis zum letzten Mann ihren Helden-Nimbus in der arabischen Welt bewahren und auf dieser Grundlage neue Kämpfer rekrutieren könnte, während sie durch eine Aufgabe, die sie ebenfalls entmachtet, dem Vorwurf des Verrats ausgesetzt würde. Auf der anderen Seite zeichnet sich aber auch ab, dass die Bevölkerung im Gaza-Streifen ihr unendliches Leid nicht mehr nur auf den Feind Israel abschiebt, sondern auch die Hamas dafür mitverantwortlich macht, und auch ihre Unterstützer im Ausland von ihr abrücken. Vermutlich nur taktisch - jetzt ist nur noch der Frieden zu gewinnen, wie aber sieht es danach aus?
 

[3] Kathryn Armstrong: Hamas says it agrees to release Israeli hostages but seeks changes to US Gaza peace plan, >BBC, 4.10.2025.

[4] Cf. Louis Imbert:  Le Hamas réticent à signer une “reddition” >Le Monde, 2.10.2025, S. 2,, dort auch Marie Jo Sader/Laure Stephan: A Gaza, L’espoir “que le génocide s’arrête”, nicht online außerhalb des Digital-Abos..

[5] Cf. Jack Khoury: Hamas Reportedly Warns Trump’s Peace Plan Will Allow Israel to Avoid Withdrawing From Gaza, >Haaretz, 29.9.2025.

[5a] Jack Khoury/Jonathan Lis:  Hams Demands Full Israeli Withdrawal From Gaza at Same Time as release of Last Hostage, >Haaretz, 7.10.2025.

[6] Lisa Schneider: 20 Punkte und einige Bruchstellen, >taz, 3.10.2025.

 

 

 

 

 

 

 

 

So kann es gut sein, dass Netanyahu darauf setzt, dass die Hamas die Verhandlungen letztlich zum Scheitern bringt, weil Trump ihm für diesen Fall freie Hand für die Fortführung der militärischen Operation in Gaza in Aussicht gestellt hat. Auch der im März schon einmal vereinbarte Waffenstillstand wurde von der israelischen Regierung mit der Begründung der Unzuverlässigkeit der Hamas wieder aufgehoben. Bedingung der Hamas war und bleibt wohl ein militärischer Rückzugs Israels.

Was wäre aber, wenn die Hamas darauf einginge und tatsächlich die Waffen niederlegte? Ihre Kämpfer hätten dann die Wahl, den Gaza-Streifen zu verlassen oder jeder weiteren Gewalt abzuschwören, und amnestiert zu werden, d.h. bleiben zu dürfen. Eine kaum vorstellbare Lösung, denn wer kontrolliert (und wie?), dass alle Waffen abgegeben sind? Der Blair-Plan sieht für die Aufrechterhaltung der Sicherheit eine internationale Truppe aus den arabischen Staaten vor. Außerdem soll mit der bestehenden örtlichen Polizei zusammengearbeitet werden. Wer ist aber diese Polizei? Wo besteht sie denn noch? Und sind das nicht auch Hamas-Leute, direkt oder indirekt? Und dann hatte Israel ja auch Anti-Hamas-Milizen aus örtlichen Clans bewaffnet, was wird aus ihnen?

Auch der Gewaltverzicht könnte nur ein Lippenbekenntnis sein und die amnestierten Hamas-Kämpfer insgeheim an der Aufrechterhaltung oder Wiedererrichtung ihres Einflusses in der Bevölkerung arbeiten. Und schließlich ist auch die Vorstellung eines israelischen Rückzuges in Phasen noch unklar, weil nicht terminiert. Zahlreiche Unklarheiten könnten viele Gründe liefern, dies schon in Phase 2, d. h. nach dem Geisel-Gefangenen-Austausch, zu stoppen.
 

 

Der Blair-Plan

Der Plan {7] von “Viceroy” Tony Blair, wie er schon in Anspielung auf den damaligen Vertreter des britischen Königs (“Vizekönig”) in der Kronkolonie Indien genannt wird, ist ein technokratisches Konstrukt von Administration, das nur wenige politische Entscheidungen widerspiegelt. Übereinander geschachtelte und sich überwachende und/oder miteinander verbundene “boards”, “authorities”, “offices” und “commissions” sollen einerseits die Demilitarisierung des Gaza-Streifens sicherstellen, die zivile Ordnung wiederherstellen und die Grundlage für einen Wiederaufbau legen.

Das International Board mit bis zu 10 Mitgliedern soll unter Führung eines Vorsitzenden im Auftrag der UNO (damit ist dann wohl Blair selbst gemeint) den Rat aus Gesandten muslimischer Staaten, einer UN-Vertreterin [8] sowie einem “qualifizierten palästinensischen Vertreter” bestehen. Alle sollen eine “regional legitimacy”, “cultural credibility” und die Unterstützung ihres Landes haben, aber Experten und keine Politiker sein. Ferner soll es noch internationale Experten mit besonderer Finanz-Erfahrung geben. Darunter gibt es dann die eigentlichen Verwaltungsstrukturen.

Eine “International Stabilisation Force” und eine interne “Executive Protection Unit” sollen die Demiliarisierung durchführen und die Sicherheit garantieren. Die ISF wird aus den beteiligten Staaten zusammengestellt und einem gemeinsamen Kommando unter Aufsicht der GITA. Unter Aufischt der Sicherheitsorgane wird auch mit der palästinensischen zivilen Polizei zusammengearbeitet, die “national rekrutiert” werden, aber “unparteiisch” sein soll. Sie und andere öffentliche Behörden sollen von der Palästinensischen Autonomiebehörde unter Aufsicht der GITA “implementiert” werden. Hier kommt der PA eine gewisse Verantwortung zu, es bleibt aber unklar, wie dies ohne Rückgriff auf bestehende Strukturen und bestehendes Personal erfolgen soll, dass “professionell erprobt” sein soll, und wie weit die Eigenverantwortung dabei geht.
 

 

 

[7] Gaza International Transitional Authority (GITA) Institutional Structure, >Haaretz, 28.9.2025 .

 

 

[8] Hierfür wird namentlich dieNiederländerin >Sigrid Kaag empfohlen

 

 

 

 

 

 

 

 

Dies gilt auch für die Gerichte, über deren Zusammensetzung nichts weiter gesagt wird, und insgesamt für die ganze untere Stufe der Verwaltung, wonach sie zwar “Palestinian Executive Authority” genannt wird, aber nur ein “Service Delivery Arm” ist, also selbst nichts entscheidet.

Es gibt eine “Humanitarian Supervision” und eine “Reconstruction Supervision” unter, wie für alles andere auch, einem “Oversight Commissioner”, doch zu diesen drängendsten Fragen für ein Gaza nach dem Krieg gibt es nur eine bürokratische Ausarbeitung. Die Frage der Finanzierung wird zwar angesprochen, aber nur für die Übergangsphase der GITA für drei Jahre und offenbar auch nur für deren Betriebskosten von 90, 133,5 (sic) und 164 Mio USD vom ersten bis zum dritten Jahr.

Auf politische Fragen gibt es nicht nur keine Antworten, sie werden überhaupt nicht angesprochen. Damit ist nicht einmal der ominöse palästinensische Staat gemeint, der in den Forderungen nach der Zweistaatenslösung ein billiges Alibi für fehlende konkrete Ideen ist. Vielmehr wird von Seiten der Betroffenen, der Gaza-Bewohner, zu Recht erwartet, wann und wie sie sich denn selbst verwalten können sollen und ob überhaupt. Eine solche politische Vision ist jedoch auch für die Akzeptanz der Übergangslösung notwendig, die zwangsläufig akzeptiert werden wird, aber auch eine weitergehende Perspektive braucht. Sonst greift wieder allzu schnell die Propaganda der Hamas, unter welchem Namen ach immer, dass dies nur die Fortsetzung der Besatzung sei und man erneut einen Widerstand aufbauen müsse. Und dieser Effekt wäre umso gravierender, wenn, wie vorauszusehen, Israel dem nicht nur von außen zuschauen sondern stärker präsent bleiben würde.
 

 

Der Trump-/Blair-Plan missfällt auch den arabischen Staaten, die im Rahmen der Arabischen Liga im März 2025, beim ersten Waffenstillstand, einen eigenen Plan für eine Nachkriegsordnung und den Wiederaufbau vorgelegt haben [9]. Darin spielt die Übernahme der Verwaltung durch die PA die entscheidende Rolle. Dabei erhofften sie sich auch, eine UN-basierte “internationale Präsenz” würde nicht nur im Gaza-Streifen sondern auch gleich mit im Westjordanland etabliert. Das ist zwar verständlich, aber schon von vornherein ein Ausschlusskritierium für diesen Plan. Man muss auch erkennen können, dass unter den gegebenen Umständen schon alleine für Gaza eine Lösung nur mit und nicht gegen Israel gefunden werden kann, was schon schwer genug ist.

Wird fortgesetzt...

W. Geiger, 6.10.2025/8.10.2025

 

[9] Cf. Muriel Asseburg: Welche Nchkriegsordnung für Gaza? in: Vereinte Nationen. Zeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen, 3/2025, S. 116-121, 23.6.2025, online

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Zwei Jahre 7. Oktober -
Der Hass kommt weiterhin auf die Straße

Gestern gab es zum zweiten Jahrestag des 7. Oktober ein Versammlungsverbot in Berlin mit der Begründung “einer unmittelbaren Gefahr, die von den Personen ausgeht”, eine verbotene zentrale Demonstration in Berlin-Mitte wurde aufgelöst, ebenso wie dezentrale Aktionen. 17 polizeikundigen Personen war nach der Erfahrung am 7.10.2023 selbst jede “Teilnahme an allen Versammlungen im Land Berlin am Dienstag” verboten worden, zehn Personen kamen in Polizeigewahrsam. Während die Politik auf die hasstriefenden antisemitischen Inhalte der Demo-Propaganda verweist, galt aber wohl für die Justiz v.a. die Befürchtung der erwähnten “unmittelbaren Gefahr” als Grund für das Verbot sowie die Tatsache, das ehemalige Samidoun-Kreise mitwirkten [1].

“Die Liste der Straftaten seit 2023 ist lang” schreibt der Tagesspiegel in seiner Bilanz der letzten zwei Jahre von “Antisemitismus und Hass gegen Israel in Berlin” [2]. Erfasst wurden 7633 Straftaten, darunter mehr als ein Viertel Gewaltdelikte, 6135 Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet, doch es gab nur 180 Verurteilungen, 480 Verfahren sind noch offen. Denn klare Täterschaften sind selten zu ermitteln, die Anonymität schützt nicht nur die Täter, sie ermutigt sie auch. “Antisemitischer Hass ist alltäglich geworden” kann der Berliner Antisemitismusbeauftragte Samuel Salzborn da nur wiederholt feststellen und am Rande der Ausstellung über der Opfer des Hamas-Überfalls [3] konnte der israelische Botschafter nur dasselbe feststellen, aber auch: ”’Der Krieg hätte längst zu Ende sein können, wenn die Geiseln frei gelassen worden wären’, sagte Prosor.” [4] Wäre es so gewesen? Hätte die israelische Regierung ihren angekündigten unwiderruflichen Feldzug zur Ausschaltung der Hamas dann eingestellt, den Netanyahu so oft bekräftigt hat? Wir werden es nie erfahren, denn die Chance dazu hat die Hamas nicht eröffnet.

Verbote von “Gaza-Demonstrationen” am 7. Oktober, die wie in Frankfurt a.M. von der Stadt ausgesprochen wurden, wurde von Gerichten aufgehoben, wenn die öffentliche Ordnung nicht gefährdet und keine ungesetzlichen Inhalte (Motto, Parolen...) vorherzusehen waren. Des Jubel für die Hamas und der Hassfantasien gegen Israel und Juden überhaupt wie in Berlin bedurfte es aber am 7. Oktober auch nicht, um die Intention deutlich zu machen:

Eine Demo zum Jahrestag selbst drückt alleine schon erkennbar die Rechtfertigung des 7. Oktober aus. - Für alle erkennbar außer offenbar für deutsche Gerichte.

Es geht nicht nur darum, was man explizit sagt, sondern auch darum, was man in einem bestimmten Kontext meint, und dieser Kontext war hier eindeutig. Kann denn der Verfassungsschutz hierbei der Justiz nicht behilflich sein? In einer Presseerklärung des Verfassungsschutzes vom 6.10.2025 wird der Vizepräsident des BfV unter anderem damit zitiert:

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Nova Festival 7.10.2023 Memorial am Ort (17.9.2024)(Ausschnitt)
Wikimedia Commons

[1] Alexander Fröhlich: Demo-Aufruf zum 7. Oktober, >Tagesspiegel, 6.10.2025 -  Update/Verhöhnung von Terror-Opfern in Berlin, >Tagesspiegel, 7.10.2025 - Alexander Fröhlich/Madlen Haarbach/Ken Münster: Update / Teilnehmende forderten Wiederholung des 7. Oktober, >Tagesspiegel, 8.10.2025.

[2] Antisemitismus und Hass gegen Israell in Berlin, >Tagesspiegel, 6.10.2025.

[3] >Nova Exhibition, Besuch der Ausstellung in Berlin, 7.10.-16.11.2025 , Flughafen Tempelhof
Platz d. Luftbrücke 5, 12101 Berlin,

[4] Jüdisches Leben in Berlin: “Antisemitischer Hass ist alltäglich geworden”, >Tagesspiegel, 4.10.2025,  -  Ausstellung über Opfer des Hamas-Überfalls eröffnet, >Tagesspiegel, 5.10.2025.

 

    “Wir beobachten, wie in Deutschland Aufrufe erfolgen - teilweise verdeckt, teilweise offen - zu Anschlägen auf (pro-)jüdische und (pro-)israelische Einrichtungen. Diese Gefahr darf nicht unterschätzt werden. [...] Es ist zu erwarten, dass auch der zweite Jahrestag der Terrorangriffe der HAMAS auf Israel dazu geeignet ist, weite Teile des Protestspektrums zu emotionalisieren und zur Teilnahme an propalästinensischen extremistischen Veranstaltungen zu bewegen.
    Unsere Aufgabe als Abwehrdienst ist es, frühzeitig zu erkennen, wie sich diese extremistischen Gruppierungen vernetzen und wie sie Narrative von Antisemitismus und Israelfeindlichkeit verbreiten. Mit unseren Erkenntnissen können aus diesen Strukturen hervorgehende Straf- und Gewalttaten wirksam verhindert werden.” [5]

Auch wenn es hier um die Verhinderung manifester “Straf- und Gewalttaten” geht, wobei unter Straftaten eben auch jene Gewaltaufrufe fallen, so wird doch verdeutlicht, dass es Aufrufe oder Anreize zu solchen Gewalttaten auch indirekt gibt und dass es eine Aufgabe zum präventiven Handeln gehen Straft- und Gewalttaten gibt. Nicht aus jeder Vernichtungsfantasie gegenüber Israel oder Juden folgt eine Gewalttat, aber jeder Gewalttat sind solche Fantasien vorausgegangen. Nicht nur vor dem 19.2.2020 in Hanau, sondern auch vor dem 7.10.2023 in Gaza.

8.10.2025
W. Geiger

 

[5] >Bundesamt für Verfassungsschutz: Der 7. Oktober 2023 und die anhaöltenden Folgen für die Sicherheitslage in Deutschland, 6.10.2025.

 

 

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Rückblick auf den 7. Oktober im Licht der NOVA-Ausstellung in Berlin: Friedensfest und Inferno

Im Kontrast zu den Pro-Hamas-Demonstrationen öffnete am 7. Oktober 2025 auch die NOVA Exhibition in Berlin, nach ihrer bereits großen Tournee durch die USA und Kanada und zuletzt London. Eine über alle Maßen beeindruckende wie bedrückende Ausstellung. Zuerst der Rückblick auf das Musikfest, das wie ein zeitversetztes psychedelisches New-Wave-Festival mit elektronischer Trance-Musik ein Fest des Friedens untereinander, mit sich selbst und mit der Natur war, kulminierend in der esoterischen Botschaft des Sonnenaufgangs über der Wüste. Doch mit diesem Sonnenaufgang kam um 6:29 Uhr Ortszeit nicht der himmlische Frieden, sondern die Hölle auf Erden zu den Festivalteilnehmern.

Zu diesem Zeitpunkt bekam die Festivalleitung eine Alarmmeldung über Raketenangriffe, brach über Lautsprecher das Fest ab, und schon sahen die Leute viele Raketen am Himmel über sie hinweg fliegen. Noch erkannten sie keine unmittelbare Gefahr für sich selbst, doch die Festivalleitung rief dazu auf, zu den Autos zu gehen und wegzufahren. Manche waren verwirrt und unsicher, andere rannten Hals über Kopf zu ihren Autos, viele waren schon auf dem Highway, als die Terroristen der Hamas schwer bewaffnet mit ihren Geländewagen entgegenkamen und auf alle und alles schossen, was sich bewegte, und auch, was sich nicht bewegte: Viele wurden in ihren Autos erschossen, viele waren gar nicht mehr vom Parkplatz weggekommen.

[Bildschirmfoto_19-9-2025_1127_www.eventim-small.de

[1] >NOVA Exhibition. – Mit Fotos und Videos. Besprechungen: >Israel-Netz; >Die Zeit; >FAZ; Reportage: >tagesschau

 

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Bericht  eines Überlebenden. Die Qualität des Fotos ist den örtlichen Bedingungen geschuldet, wo ich kein Blitzlicht verwenden wollte, der Text ist aber noch lesbar. - Ganze Tafel durch Klick auf das Bild.

Die Berichte werden in der Ausstellung auf Videos der Interviews mit englischen und deutschen Untertiteln gezeigt, oder auf Tafeln textlich präsentiert; nachträglich von Soldaten und Helfern aufgenommene Bilder, sowie damals mit dem Handy gemachte Videos, oft das letzte, was die betreffende Person tun konnte. „Ich nehme ein Video auf, das erhalten bleibt“, sagte eine junge Frau, auf dem Boden liegend, mit sich selbst im Bild.

Viele Zeugenaussagen sind die von Rettungshelfern nach der Katastrophe, die den allermeisten nicht mehr helfen konnten.

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Alle Fotos mit Genehmigung der Aussstellungsmacher : W. Geiger

Manche konnten sich in Schutzräume retten, die entlang des Highways in kleinen Bunkern installiert waren. Allein deren Existenz sagt schon Bände über die Situation, in der sich Israel schon zuvor befand. Doch die Schutzräume wurden oft zur Falle, denn die Terroristen waren darauf vorbereitet.

Von den ausgebrannten Autos, die man auf den Fotos sieht, sind einige in die Ausstellung integriert worden, wie überhaupt alle Gegenstände der Festivalteilnehmer original sind: aufgebaute kleine Zelte, Campingsachen, Persönliches: Taschen, Kleidung Handy, Brillen… Das letzte, was von den Opfern geblieben ist, von den als Geiseln Entführten oder auch von Leuten, die fliehen konnten. Eine Sammlung von persönlichen Gegenständen auf Tischen im letzten, großen Raum, dem Gedächtnis- und Gedenkraum, mutet wie eine Ausstellung in einer KZ-Gedenkstätte an. Fotos von den auf dem ganzen Gelände wild verstreuten Sachen, die eine Polizei-Sondereinheit Lahav 433 zunächst zur Identifizierung gesammelt hat. Von den Tausenden von Gegenständen kam dann eine Auswahl in die Ausstellung. Nach dem letzten Stand der Ermittlung vom 7.10.2025 für das Memorial auf dem Nova-Gelände selbst wurden 378 Menschen auf dem Festival oder in der unmittelbaren Umgebung direkt umgebracht. [2]

Die Kleidung und anderen Dinge gehörten Menschen, deren Identifizierung oft ebenso schwierig war. »Du musstest eine Art Rüstung um dich herum haben«, sagt eine Frau, die man beim Einsammeln in einem Chaos von verstreuten Sachen sieht, Die nicht verbrannten Leichen gaben Aufschluss über das, was ihnen geschehen war, und die, was die sexuelle Gewalt angeht, zum Teil weit über die Medienberichte von Vergewaltigungen hinausgehen. [3]

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Aussage eines zivilen Leiters eines Rettungseinsatzes. - Das Schma oder Schema Jisrael ist ein grundlegendes Gebet (“Höre Israel”) ist ein grundlegendes Gebet, cf. >Wiklipedia

[2] Nova festival site transformed to memorial to 378 people killed in Hamas attack, >CBC, 7.10.2025

[3] Vgl. hierzu einen weitergehenden Bericht aus Haaretz und die Kontroverse um die Taten und Berichte auf der Seite der >Heinrich Böll Stiftung: Lisa Rozovsky: Zeug*innen, Geständnisse, Bildmaterial: Beweise für Vergewaltigungen der Hamas am 7. Oktober, 30.4.2024,

 

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In einem extra Raum der Ausstellung, mit Vorwarnung darauf, was einen darin erwartet, werden medizinisch-forensische Untersuchungsergebnisse in Text und Ton präsentiert, die einen an die apokalyptischen Gemälde von der Hölle eines Hieronymus Bosch denken lassen, aber selbst die von Bosch imaginierten Qualen bei weitem übertreffen. Die Phantasmagorie von der Hölle kann diese reale Hölle nicht einholen. Verteidigungsminister Gallant wusste dies wenige Tage nach dem 7. Oktober noch nicht einmal, als er von den »Tieren« sprach, die das getan hatten, und wurde und wird heute noch dafür kritisiert und als Anstifter für eine genozidale Racheabsicht angeklagt. Doch selbst die Monster, die Bosch in seinen Gemälden als Kreaturen der Hölle agieren lässt, gingen in den von ihren verübten Martern nicht so weit wie die Hamas-Terroristen am 7. Oktober.

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Bosch_Das_Jüngste_Gericht-Ausschnitt2

Ausschnitt aus Hieronymus Bosch, Das Jüngste Gericht (Laatste Oordeel), zwischen 1485 und 1505, >Wikipedia

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Und dann gibt es natürlich einen fundamentalen Unterschied zwischen Boschs Höllenvisionen und diesem irdischen Inferno, dass dies nämlich keine Sünder beim Jüngsten Gericht traf, die für ihre Sünden bestraft wurden, sondern es war das genaue Gegenteil: Sie waren Opfer der drastischsten Umwertung aller Werte (frei nach Nietzsche), nicht weil sie schuldig waren, sondern weil sie unschuldig waren. Das war kein Kriegsschauplatz, das waren keine Zivilisten, die zwischen die Fronten geraten waren, weil sie von den einen dazu missbraucht und von den anderen dafür missachtet wurden.

Die Täter waren quasi Uniformierte, jedenfalls in Militärkleidung und -ausrüstung, manche mit Schutzwesten, die mit Geländefahrzeugen, Pick-ups und Motorrädern kamen. In ihren Video-Aufnahmen – von denen diejenigen, die die unaussprechlichen Verbrechen zum Teil dokumentieren, auf der Ausstellung nicht gezeigt wurden – wiederholt sich das »Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Gesandter«. In einem Video werden Angehörigen einer »Islamischen Brigade« gezeigt. In der Ausstellung sind auch zwei der Toiletten aufgestellt, die ein Terrorist alle mit Kugeln durchsiebte, wie man in einem anderen Video sieht, weil sich vielleicht jemand darin versteckt hatte, und deswegen sogar von einem Kompagnon ermahnt wird, nicht Munition zu vergeuden.

Die Vergewaltigungen und schlimmeren Dinge wurden am Rande oder etwas abseits des Festivalgeländes verübt, mit einer Ausnahme auf dem Parkplatz, weil man dann doch Zeugen dessen scheute. Der Mord, der Massenmord alleine, war kein Grund zur Verheimlichung, im Gegenteil: Man berichtete offen und direkt und sofort darüber, etwa in einem auch schon in den Medien bekannt gewordenen Telefonat: »Dein Sohn hat gerade einen Juden getötet, Vater. – Mit meinen eigenen Händen habe ich 10 getötet! – Papa, öffne WhatsApp und schau mal, wie viele ich getötet habe.« Bezeichnenderweise – aber wir wussten es schon… - wird hier nicht einmal von Israelis gesprochen sondern von Juden.
 

 

Ein zentrales Element der Ausstellung ist, dass all dies Bedrückende unter der ständigen Beschallung durch die Trance-Musik steht, die auf dem Fest gespielt wurde, von einer psychedelischen Bühne am Ende des Saales, von der die Philosophie des Friedens ausstrahlte. Der Kontrast könnte nicht größer sein und das Irreale dieses Konstrastes macht das Ungeheuerliche nur noch fassbarer.
 

 

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Die Botschaft am Ende ist auch, dass man seine Überzeugung und die Hoffnung nicht aufgibt.

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W. Geiger, 26.10.2025