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Geschichtslehrer/innen Forum
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Israel / Palästina - Nahostkonflikt (8)
Hintergrundinformationen, Dokumente und Links zur Geschichte Palästinas und Israels Update 15.6.2025
Auf dieser Seite: 8. Israel und der Nahostkonflikt seit dem 7.10.2023 (Analyse)
Aktuell: 13. Juni 2025: Ultima ratio gegen die atomare Bedrohung aus dem Iran last update 15.6.2025 Aktuelles neues Vorwort zu meinem Buch Israel, Palästina und wir (direkt >>dorthin)
Auf den vorherigen Seiten: 1. Startseite: Links zu Seiten im Internet und bibliographische Hinweise zu Büchern >hier
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Spektroradiometrisches Satellitenbild des Nahen Osten mit den eingezeichneten Grenzen von 1949. Wikimedia Commons
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2. Daten zur Geschichte Jerusalems, des Alten Israel und der Provinz Palästina vom Altertum zum Osmanischen Reich (bis 1914) >hier
3. Palästina vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg >hier a) Chronologie, b) Inhaltliche Ergänzungen: Sykes-Picot-Abkommen, Balfour-Deklaration / Britisches Mandat / 2. Weltkrieg
4. Nach dem Zweiten Weltkrieg: UN-Teilungsplan, Gründung Israels und die Folgen bis nach dem Sechstagekrieg >hier a) Chronologie b) Inhaltliche Ergänzungen: Unabhängigkeitskrieg / 1948/1967: Kampf um Jerusalem / Sechstagekrieg: Präventivkrieg oder Expansionskrieg?
5. Der Nahe Osten seit dem Sechstagekrieg bis zur Ermordung Rabins 1995 >hier a) Chronologie b) Inhaltliche Ergänzung: Situation nach dem Sechstagekrieg und Entwicklung der Siedlungsbewegung
6. Der Nahostkonflikt von der Ermordung Rabins bis zum israelischen Rückzug aus Gaza 2005 >hier
7. Der Nahostkonflikt nach dem israelischen Rückzug aus Gaza 2005 bis zum 7.10.2023
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8. Der Nahostkonflikt seit dem 7.10.2023 (Analyse)
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Im Folgenden handelt es sich im Wesentlichen um Zusammen- fassungen aus Passagen in meinem aktuellen Buch Siehe >>hier unten.
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Der Terrorangriff mit dem damit verbundenen, geplanten Pogrom an der israelischen Zivilbevölkerung jenseits der Grenze des Gaza-Streifens ist bereits Thema der Startseite >>Nahost sowie, ausführlicher, auf https://www.juedischegeschichte.de/html/naher_osten.html dabei auch die ausführliche Analyse: Der 7. Oktober 2023: Ein neuer Zivilisationsbruch https://www.juedischegeschichte.de/html/7_10__zivilisationsbruch_-2.html
Der Verlauf des “Gaza-Krieges” kann und soll hier nicht im Detail aufgelistet werden. Folgende grundsätzliche Überlegungen erscheinen aber wichtig:
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7.10. 2023 - 13.6. 2025
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Der Kampf gegen eine Terrororganisation, die Hamas, die von den Vereinten Nationen, anders als von der EU, nicht als Terrorganisation eingestuft ist, die über ein staatsähnliches Territorium regierte, ohne als Staat anerkannt zu sein, die außer den klassischen Waffen einer Terrororganisation auch über ein strategisches Raketenarsenal verfügte, dass am 7.10. und danach eingesetzt wurde, ohne als Kombattant im Sinne des Kriegsrechts anerkannt zu sein und auch nicht als Partisanenorganisation oder Milz - dieser Kampf gegen das völkerrechtliche “Phantom” Hamas war und ist nicht nur in militärischer Hinwischt das, was asymmetrischer Kampf, Krieg oder Konflikt genannt wird. Auf der einen Seite ein Staat, dessen Handeln nach dem Kriegs-, Völker- und Menschenrecht gemessen wird, auf der anderen etwas, das gar nichts ist im Sinne dieses internationalen Rechts und damit alle Freiheiten hat. Gewiss, vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wurde Anklage erhoben gegen drei Hamas-Führer, so wie gegen den israelischen Ministerpräsident Netanyahu und seinen damaligen Verteidigungsminister Gallant. Die inzwischen vom israelischen Militär getöteten Hamas-Führer wurden aber nur als verantwortliche Individuen angeklagt, während auf der anderen Seite mit den beiden führenden Politikern der Staat Israel auf der politischen Anklagebank sitzt mit drohenden und schon praktizierte Sanktionen, die Hamas dagegen als Organisation nicht belangt wird und morgen legal im Sinne der UN wiederaufgerüstet werden dürfte für neue Terroraktionen. Die UN-Vollversammlung hat auch den Terrorakt vom 7. Oktober nicht explizit verurteilt, sondern nur die Gewalt von beiden Seiten. Für die Mehrheit der UN- Mitgliedsstaaten ist die Hamas seit 2002 eine legitime Befreiungsorganisation, auch wenn dies nie so offiziell erklärt wurden auch wenn dies vor allem nach dem 7.10. nicht mehr so laut gesagt wurde, doch kam es in den verhinderten Resolutionen oder Stellungnahmen zum Ausdruck, so in der verhinderten Stellungsnahme zum 7.10.2023.
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Die Findung des Begriffes »asymmetrischer Konflikt«, »Kampf« oder »Krieg« seit Beginn der 2000er Jahre war zunächst ein ungewollter Tribut an diejenigen, die dadurch einen Sieg errungen hatten, der ihnen aufgrund der Überlegenheit des Gegners im konventionellen Maßstab nicht zugetraut worden war. Früher hieß es Guerrillakampf, es waren Partisanen in einem nicht konventionellen Krieg, paramilitärische Verbände (älterer Ausdruck), und solche Kriegstaktiken sind viel älter als die heute bekannten. Eine Fatalität des asymmetrischen Konflikts ist, dass der konventionell Überlegene, sich seiner Unterlegenheit in diesem Kampf gewahr werdend, seine eigenen Verhaltensregeln aufgibt. So beschreibt Michael Wolffsohn das Dilemma:
“Derjenige, der Guerilllas [d.h. Guerilleros] bekämpft, also Israel in diesem Falle, kommt in ein schreckliches Dilemma. Einerseits glaubt er, zurückschlagen zu müssen, andererseits sieht er, daß dabei unbeteiligte und unschuldige Zivilisten betroffen und getroffen werden. […] Nicht nur die tatsächlich oder vermeintlich gerechtfertigte Gewalt ist zwischen Israelis und Deutschen umstritten, sondern das, was Gewalt ist: In Deutschland, darüber hinaus wohl in Westeuropa überhaupt, wird die Reaktion auf Gewalt ebenso als solche angeprangert wie die vorangegangene Aktion, bei der die Geiselnahme von unbeteiligten Zivilisten Teil des Gesamtplanes ist. Beide Sichtweisen sind erklärlich, doch vereinbar sind sie nicht.”
Fraglich ist jedoch auch, wie lange dieses Dilemma überhaupt noch empfunden wird. Moralische und rechtliche Hürden für das eigene Handeln aufrechtzuerhalten, die der Gegner ignoriert, erscheint absurd und hat seit jeher eine eskalierende Barbarisierung bewirkt. Zumal das Abstreifen der moralischen Hemmnisse nicht nur eine »Befreiung« der Tat, sondern damit auch deren Erfolg ermöglicht, wie Karl-Heinz Metz darlegt:
»Das Geheimnis des Erfolgs im asymmetrischen Kampf für den Überlegenen besteht seit jeher darin, auf die Symmetrie-Ebene herabzusteigen, also den Partisanen wie ein Partisan zu bekämpfen, den Terroristen wie ein Terrorist.«
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Michael Wolffsohn: Ewige Schuld? 75 Jahre deutsch-israelische Beziehungen. München (Piper) 1988 u.sp., (Langen-Müller) überarb. Neuausg. 2023, S. 249.
Karl Heinz Metz: Geschichte der Gewalt. Krieg – Revolution – Terror. Darmstadt (WBG/Primus) 2010, S. 260.
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Der Feind, der sich hinter Zivilisten versteckt, aus ihrer Mitte heraus agiert, bewusst Gemeinschafts- und humanitäre Einrichtungen aussucht wie Schulen, Krankenhäuser und improvisierte Flüchtlingsunterkünfte, sowie sich zum Teil selbst in ziviler Kleidung unkenntlich macht, könnte unter maximaler Wahrung humanitärer Regeln nur im Häuserkampf bekämpft werden, der unter den örtlichen Bedingungen im Gaza-Streifen ein im zynischen Doppelsinn des Wortes »Heimspiel« für die Hamas gewesen wäre. Die Verluste an Soldaten wären für Israel enorm, der Erfolg fraglich. Und so werden die richtig oder falsch lokalisierten Ziele aus der Luft angegriffen, egal, ob und wie viele Zivilisten dabei auch getötet werden, und die Bodentruppen rücken nach, wenn das Zielobjekt zerstört ist. Gewiss, immer wieder melden die Medien, dass die betroffenen Einwohner der ins Visier genommenen Häuser oder Stadtviertel kurz zuvor gewarnt wurden. Letzteres brachte sie trotzdem nicht immer in Sicherheit, wie die Zahl der Toten zeigt, offensichtlich kam es nicht an oder ließ ihnen nicht genug Zeit. Wir wissen aber nicht, weil dies nicht berichtet wird, wie viele Vorwarnungen erfolgreich waren, es werden nur die Ergebnisse der nicht erfolgreichen gezeigt. Abgesehen davon ist nicht einsichtig, wieso die dort vermuteten Zielpersonen getroffen werden sollten, wenn sie doch die Vorwarnung auch mitbekommen haben.
Die Hamas hatte eine massive Reaktion Israels einkalkuliert, ungefähr so wie 2024, und opferte hierfür die Zivilisten, die ins Schussfeld gerieten um den Preis einer verstärkten internationalen Isolation Israels. Letzteres ist wohl aufgegangen:
“Die Hamas hat mit ihrem Terror nicht nur Israel in einen Krieg gezwungen, in dem es schuldig wird. Sie orchestriert auch mit Erfolg unsere Gefühle.”
schrieb die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller am 25.5.2024 in der F.A.Z. Doch den Willen Israels, koste es was es wolle, die Hamas auszuschalten, hat die Hamas sicher unterschätzt, so wie die israelische Regierung, dass dies nicht in ein paar Monaten erledigt sein würde. Und so schwand die anfängliche relative Zurückhaltung in der militärischen Vorgehensweise immer mehr, die Radikalisierung des Handelns ging mit einer Radikalisierung des Denkens einher, letztere zur Rechtfertigung des ersteren. Das Ziel rechtfertigt aber nicht alle Mittel.
Wird ergänzt...
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Herta Müller: Ich kann mir die Welt ohne Israel nicht vorstellen, >F.A.Z., 3.6.2024.
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Aktuell
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Last update 15.6.225
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13. Juni 2025: Ultima ratio gegen die atomare Bedrohung aus dem Iran
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Dieses Statement zur aktuellen Lage kann als zusätzliches aktuelles Vorwort zu meinem Buch gelten. Text als >>pdf
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„Understanding what is happening in the Middle East is more important than ever“ The Guardian, 13.6.2025.
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Wolfgang Geiger Israel, Palästina und wir Deutsche Perspektiven und die Geschichte vor und nach dem 7. Oktober 2023. Frankfurt a.M. (>Humanities Online) 2025. >>info-Flyer >>Inhaltsverzeichnis, Einleitung Neuerscheinung, Redaktionsschluss 30.4.2025
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Seit dem 13. Juni ist der Konflikt im Nahen Osten in eine neue Phase getreten, die in ihrer Bedeutung der Zäsur durch den Sechstagekrieg 1967 zumindest gleichkommen, wenn nicht sogar übertreffen wird. Mit gravierenden Auswirkungen auf die Weltpolitik, auf den ganzen Nahen und Mittleren Osten, aber auch auf die Situation im engeren geostrategischen Radius: im Gaza-Streifen und im Verhältnis zum Libanon mit dem Problem Hisbollah, sowie auch auf die Politik in Israel selbst.
In der Nacht zum 13. Juni 2025 läuteten gegen 2 Uhr die Sirenen in Israel, begleitet von der Verkündung des home front emergency über die Medien mit dem Aufruf an die Bevölkerung, sich in der Nähe von Schutzräumen aufzuhalten. Unmittelbar danach begann der Luftangriff auf strategische Ziele im Iran, allen voran die Atomanlagen. Verteidigungsminister Katz warnte vor iranischen Drohnenangriffen nach die dem »präemptiven Schlag« Israels gegen den Iran und wenig später erklärten der Militärsprecher und Premierminister Netanyahu, Israel habe diese »präemptiven Schläge« mit »Hunderten von Kampfflugzeugen« auf »hundert Ziele« ausgeführt und führe die Aktion weiter fort soweit wie notwendig.
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Damit wurden vermutlich die Anlagen zur Urananreicherung soweit unfähig gemacht, damit atomwaffenfähiges Material herstellen zu können. Gleichzeitig galten die Angriffe militärischen Einrichtungen wie der dortigen Luftabwehr, die schon bei den begrenzten gegenseitigen Beschuss im April 2024 stark geschwächt wurde, und den Anlagen für ballistische Raketen, um einen Gegenschlag des Iran zu minimieren, sowie strategischen Zielen im weiteren Sinne wie Anlagen der Erdölindustrie; und es gab gezielte persönliche Angriffe auf führende Militärs und Atomwissenschaftler. (Nach dem Liveblog auf Haaretz am frühen 13.6.).
Der Angriff auf die Atomanlagen hat, auch nach Aussage der IAEA am 13.6., keine Radioaktivität freigesetzt. Das erscheint schon wie ein Wunder. Hoffentlich bleibt es dabei.
Nach einem weitgehend abgewehrten Drohnenangriff noch am 13.6. hat der Iran am 14.6. aus seinem ursprünglich auf 1000 Raketen oder mehr geschätzten Arsenal 200 auf Israel abgefeuert, von denen die meisten durch Israel und die in Jordanien stationierte Abwehr der USA sowie Jordaniens selbst abgefangen werden konnten.
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Am 12.6. hatte die Internationale Atomenergiebehörde durch ihren Direktor Rafael Grossi erklärt, dass die Konsultationen zur Überwachung des Atomprogramms mit dem Iran beendet würden, nachdem der Iran keinerlei Zugeständnisse mehr mache, weil er ganz offensichtlich die Kapazität des Atomwaffenbaus anstrebe und hierbei schon kurz vor dem Ziel sei. Bereits am 9. Juni hatte Grossi „große Sorge“ wegen Irans Uran-Anreicherung geäußert und die Medien waren voll von Spekulationen über eine israelischen Militärschlag. [1] Die Erklärung vom 12.6. war das Signal für Israels Präventivschlag zur Verhinderung der iranischen Atombewaffnung. Trotzdem erklärten Journalisten und Nahostexperten am 13.6. in den Medien (z.B. auf tagesschau.de), man sei vor Ort von dem Militärschlag Israels überrascht gewesen.{2]. Warum?
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[1] Atomic watchdog says Iran not complying with nuclear safeguards, >UN News, 12.6.2025,- IAEA-Chef: „Große Sorge“ wegen Irans Uran- Anreicherung, >Zeit Online, 9.6.2025,
[2] Attacke auf Iran - “Angriff hat hier alle überrascht! >tagesschau.de 13.6.2025, 11 h
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Seit vielen Jahren, noch zu Zeiten des laufenden Atomabkommens zwischen den USA, der EU und dem Iran, hatte Netanyahu vor dieser Entwicklung im Iran gewarnt und das Abkommen für einen Irrweg erklärt, da es vom Iran unterlaufen werde. Solange die IAEA das aber aufgrund des Abkommens vor Ort überwachen konnte, erschien dies propagandistisch überzogen und als solches selbst unklar: Was war denn die Alternative? Die Situation änderte sich vollständig, als Trump in seiner ersten Präsidentschaft das Abkommen einseitig aufkündigte (8.5.2018), gegen den einmütigen Widerspruch der internationalen Staatengemeinschaft, und neue Sanktionen verhängte. Damit hatte der Iran aber freie Bahn, sein Programm uneingeschränkt fortzusetzen, und die erweiterten Sanktionen statt der vorherigen Zugeständnisse hinderten ihn in Nichts daran.
Für jede israelische Regierung, egal welcher politischer Richtung, musste klar sein, dass der Iran, der die Vernichtung Israels auf seine Fahnen geschrieben hatte, niemals die Fähigkeit zur Atombewaffnung bekommen durfte. So blieb einzig nur noch die Möglichkeit, dies militärisch zu verhindern, wie jetzt geschehen. Dies sollte auch uns so klar sein. Niemand, der heute sagt, das war völkerrechtlich Unrecht, kann sagen, wie das Atomprogramm stattdessen rechtzeitig verhindert werden konnte, und er argumentiert mit einem Recht von 1948, das dieses Bedrohungsszenario gar nicht kannte.
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Die militärisch-technische Befähigung der israelischen Luftwaffe dazu war nicht ohne die USA herzustellen, die seit Jahren spezielle Bomben entwickelten, welche die tief unter der Erde verbunkerten Atomanlagen erreichen konnten. Haaretz hat mehrfach darüber berichtet und am 17. April konkret einen israelisch-amerikanischen Plan für solch einen Schlag im Monat Mai angekündigt, allerdings auch auf die Widersprüchlichkeit der amerikanischen Haltung hingewiesen, wo Trump nun doch wieder Gespräche mit dem Iran wollte. War die Wiederaufnahme der US-iranischen Gespräche ernsthaft mit der Erwartung eines positiven Ergebnisses verbunden, sollten halboffizielle Warnungen vor einem Militärschlag den Iran einschüchtern, oder war dies nur eine Ablenkung von der finalen Vorbereitung dieses längst vereinbarten und seit Jahren vorbereiteten Präventivschlages? Klar erscheint, dass die Wiederaufnahme der Atomgespräche von iranischer Seite eine Hinhaltetaktik war bis zum Erreichen des fait accompli seiner Atombewaffnung.
Jedenfalls will die USA nicht als Mit-Agressor dastehen und distanziert sich somit von Israel – so Außenminister Rubio und zunächst Trump selbst, der sogar zuvor schon davor gewarnt hatte, während er dann angesichts des militärischen Genies der Israelis dies doch auch für sich vereinnahmen wollte, indem er erklärte, er habe Iran Anfang April ein »60-Tage-Ultimatum« gegeben, das verstrichen sei (Haaretz, 13.6.).[3} Die USA haben rechtzeitig auch noch neue Abwehrwaffen gegen Drohnen für Flugzeuge entwickelt, die im Rahmen einer umfassenden Verstärkung der amerikanischen Militärpräsenz seit Anfang April in Jordanien stationiert [4] und somit jetzt eingesetzt wurden.
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[3] Vgl. Andrew Roth: Trump scrambles to claim credit for Israel’s Iran attack he publicly opposed, >The Guardian, 13.6.2025 [4] Avi Scharf: Record-breaking U.S. Deplolyment in Middle East Amid Trump’s Nuclear Ultimatum for Iran, >Haaretz, 2.4.2025.
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Die politischen und militärischen Folgen sind ad hoc kaum abzusehen und doch zeichnen sich schon am Tag 2 nach dem Angriff einige Tendenzen ab. Während der Iran alle Helfer Israels bei der Flugabwehr zu Gegnern in seiner Kriegserklärung macht - also die USA selbst sowie Jordanien -, prophezeien Netanyahu und Verteidigungsminister Katz “wir werden jeden Standort und jedes Ziel des Ajatollah-Regimes angreifen”, und dann “wird Teheran brennen”, falls der Iran weiter Raketenangriffe auf Zivilisten in Israel durchführe [5].
Diese Drohung einer grenzenlosen Eskalation auch gegen die Zivilbevölkerung Teherans zu einem Zeitpunkt, als die israelischen Angriffe dort bereits mehr Zivilisten das Leben gekostet haben als umgekehrt, ist als Warnung gedacht und wird vermutlich als self fuilfilling prophecy enden. Gewiss, die israelischen Ziele waren militärische, das targeted killing der Führungspersonen traf auch unbeteiligte Zivilisten, demgegenüber zielten die iranischen Raketen auch unterschiedslos auf die Zivilbevölkerung. Will die israelische Führung nun Gleiches mit Gleichem in einem unmoralischen Wettlauf nach unten vergelten? Will es Gaza auch in Teheran?
Moral, auch im Krieg, und völker- und menschenrechtliche Grundsätze drohen obsolet zu werden angesichts der historischen Chance, die iranische Gefahr für die Existenz Israels ein für allemal auszuschalten und vielleicht sogar durch einen damit herbeigeführten regime change in Teheran. Wenn es aber, abgesehen von der schon obsolet gewordenen Frage der Menschlichkeit, unterschiedslos auch Menschen trifft, die in Opposition zum Mullah-Regime stehen, wie in Gaza die Gegner der Hamas, wird es eher die Solidarität mit dem Regime befördern.
Diese Perspektive und die Möglichkeit dazu durch die absolute Luftüberlegenheit Israels bringt die Entscheidungsträger in eine Art Trunkenheit, in der nur noch der Erfolg einer gerechtfertigten Aktion zählt, die Mittel dafür alle geheiligt sind, und kontraproduktive Effekte eigenen Handelns ohnehin nicht erkannt werden..
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[5] Israel fliegt weitere Angriffe auf den Iran, >tagesschau.de, 14.6.2025, 21:27
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Die militärische Schwächung des Iran auf allen Ebenen, wenn nicht noch mehr, zuvor die massive Schwächung der Hisbollah im Libanon und der Sturz des Assad-Regimes in Syrien durch die Opposition und natürlich die faktische Ausschaltung der militärischen Hamas – all dies zusammen lässt Israel geostrategisch als grandiosen Sieger dastehen, der noch vor kurzer Zeit von Feinden umringt war. Die Unschädlichmachung seiner Bedrohungen bezahlt es aber wahrscheinlich mit einer bisher ungeahnten Isolation in der Welt, nachdem es bislang schon singulär auf der politischen Anklagebank der UN saß.
Unter anderen außen- aber auch innenpolitischen Umständen könnte dieser Sieg über die Gegner die Voraussetzung für eine Friedensregelung in der ganzen Region werden. So sehr ich über den gelungenen Schlag gegen das iranische Atomprogramm erleichtert bin, so tief bin ich über die Konsequenzen für die palästinensische Bevölkerung besorgt, angesichts einer bislang nie dagewesenen Allmacht der israelischen Regierung und vor allem dieser Regierung.
Netanyahu wird in Israel vermutlich als Held auf der Höhe eines Ben Gurion gefeiert werden, und, objektiv gesehen – d.h. ohne Bewertung seiner Ziele und Methoden –, vollkommen zu Recht. Doch die Unterschiede zwischen beiden treten offen zutage: Auch Ben Gurion hat immer wieder radikale Wunschvorstellungen geäußert, aber nie danach gehandelt, er ist immer legalistisch geblieben, politisch und moralisch. Im Buch wird dies an mehreren Stellen thematisiert. Der Regierungskoalition unter Netanyahu eröffnet sich nun aber die Möglichkeit zur Erfüllung ihrer nationalistischen und völker- und menschenrechtswidrigen Pläne: Vertreibung der Palästinenser aus dem Gaza-Streifen und vollständige Besitzergreifung des Westjordanlandes mit einer Verdrängung der ansässigen palästinensischen Bevölkerung auf immer weniger Raum und perspektivisch deren Vertreibung. Wie? Wohin? Das ist in beiden Fällen unklar, doch der Weg dorthin offen. Die Wirklichkeit vor Ort holt die Fantasien der Extremisten immer mehr ein.
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Inwiefern sich die israelische Bevölkerung in ihrer Mehrheit für Netanyahus »Heldentum« auch gleichermaßen hinter diese extremistischen Ziele der Regierungskoalition stellt, ist durchaus fraglich, wenn es auch zweifelsohne eine Verschärfung der Radikalisierung im Volk seit dem 7.10.2023 gibt, jetzt befördert durch einen Enthusiasmus des Sieges über den Iran. Seriöse Umfragen haben bislang jedoch bei einer allgemeinen Zustimmung auch stets differenzierte Meinungen zum militärischen Vorgehen in Gaza gebracht.
Die aktuelle Politik Netanyahus ist nicht die Politik Ben Gurions, nicht die Politik des Zionismus von Anfang an. Vor und nach 2000 gab es einen Zeitraum von 15 Jahren, in dem Verhandlungslösungen für eine palästinensische Selbstbestimmung unter Wahrung der Sicherheit Israels angeboten und zum Teil vereinbart wurden. 2005 hatte Gaza, auf einmal frei von der israelischen Besatzung, eine einmalige Chance, unter Beweis zu stellen, dass es sich selbstständig und friedfertig regieren konnte, als Vorbild für einen Palästinenserstaat aus den 1967 besetzten Gebieten. Die Hamas hat alle Chancen zunichte gemacht: zunächst die umfassendere Lösung nicht nur für Gaza, sondern auch für das Westjordanland (2008), und am Ende hat sie, zwanzig Jahre nach dem Rückzug der Israelis aus Gaza, durch die israelische Reaktion auf den Pogrom vom 7.10.2023 die totale Zerstörung des Gaza-Streifens herbeigeführt. »Die Hamas hat mit ihrem Terror […] Israel in einen Krieg gezwungen, in dem es schuldig wird«, schrieb Herta Müller im Mai 2024, und zwar dadurch, dass sich die israelische Kriegführung immer mehr an den Terrorismus angeglichen hat, den sie bekämpft, ein keineswegs neuer Effekt in dem, was man asymmetrische Konflikte oder Kriege nennt. Die Ausschaltung der Hamas war und bleibt ein richtiges Ziel, die Mittel dazu wichen im Laufe der Zeit immer mehr vom richtigen Weg ab.
Die ständige Auseinandersetzung mit dem Terrorismus hat das sozialdemokratisch-säkulare Fundament des Staates Israel zerstört, die verhandlungsbereiten Kräfte ins Abseits gedrängt und entsprechend radikalreligiöse und nationalistische bis faschistische Kräfte gestärkt und letztlich zum Erfolg geführt. Der Extremismus auf beiden Seiten hat sich wechselseitig gestärkt, aber nur einen Sieger hervorgebracht. Für den Augenblick jedenfalls. Der momentane Sieg Israels über die Gegner – der Terrorismus wird nicht so schnell verschwinden – ist auch eine Niederlage für die Demokratie im Inneren, weil die Extremisten auch deren Niederlage für die Verwirklichung ihrer Ziele brauchen.
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Für die Beurteilung und Bewertung des Geschehens wird für uns (und nicht nur für uns) die Unterscheidung zwischen der aktuellen Regierung Israels und ihrer Politik auf der einen Seite und dem Staat Israel und seiner Geschichte auf der anderen umso dringender, wenn wir wirklich verstehen wollen, wie alles so weit kommen konnte.
„Understanding what is happening in the Middle East is more important than ever“, schreibt der britische Guardian in seiner Online-Berichterstattung als Werbung für sich selbst. Es gilt aber auch ganz generell.
Und eine adäquate Bewertung der Ereignisse heute kann nur im Licht der Geschichte erfolgen. Es zeigt sich aber schon seit längerem, dass die aktuelle Entwicklung dem entgegenarbeitet und aus der Verurteilung des Regierungshandelns eine Verurteilung des Staates Israel als solchem entsteht.
Während Israel mit den Mitteln der ultima ratio die Bedrohung seiner Existenz durch die iranische Atompolitik ausgeschaltet hat, wird seine Existenz politisch in der ganzen Welt vermutlich mehr denn je infrage gestellt werden. Demgegenüber wird die Hamas noch heute von den Vereinten Nationen nicht als terroristische Organisation eingestuft, und während der Waffen-Boykott gegenüber Israel gefordert wird, ist die Wiederbewaffnung der Hamas, durch welchen Staat auch immer, in diesem Sinne nichts Illegales.
Um all die dafür relevanten historischen Fragen im Rückblick, mit aktuellem Bezug, aber nicht auf die Aktualität reduziert, geht es in dem Buch.
W. Geiger, 15.6.2025
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