image001c

Geschichtslehrer/innen
Forum

Moench

Der “Krisenherd Balkan” und die Vorgeschichte des 1. Weltkriegs

1. Vorbemerkung zum Thema
2. Balkan-Karten: 1832, 1895 (Sprachenkarte), 1905
3. Karte Österreich-Ungarns 1898
4. Osmanische Karte über die Verluste auf dem Balkan 1914 (“Revenge map”)
5. Französische Karikatur zur Balkankrise 1908
6. Bosnien-Herzegowina 1878-1914

 

Unter Überschriften wie “Krisenherd” oder “Pulverfass Balkan” nehmen wir durch eine klischeehafte Formel ein Bild des Balkans als Verursacher oder Auslöser (beides geht oft ineinander über) des 1. Weltkriegs auf, das dem “Balkan”, d.h. den nach nationaler Freiheit von osmanischer oder österreichischer Herrschaft strebenden Völkern, sprachlich die Schuld an dem Dauerkonflikt “Balkankrise” zuschreibt, und nicht den Großmächten, die um Einfluss und Herrschaft auf dem Balkan rivalisierten. Das Streben nach einem “Großserbien” ist das Problem, nicht die Tatsache, dass die Habsburger Monarchie 1878 Bosnien-Herzegowina besetzte und 1908 in seinen Staatsverband integrierte. Der Balkan war jedoch zuallererst das Objekt der Krise, nicht primär das auslösende Subjekt, das er im Lichte des Attentats von Sarajewo zu sein scheint.

Die Vorurteile, mit denen Westeuropa den Balkan im 19. Jh. betrachtete, mit Nachwirkungen bis heute, und die in der westlichen Öffentlichkeit bis ins letzte Drittel des 19. Jh.s faktische Unkenntnis über die ethnischen Realitäten in diesem europäischen Teil des niedergehenden Osmanischen Reiches hat Maria Todorova in dem bemerkenswerten Buch Die Erfindung des Balkans analysiert.

    Maria Todorova: Imagining the Balkans. Oxford University Press, 1997.
    Die Erfindung des Balkans. Europas bequemes Vorurteil. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 1999.

    Besprechungen:
    Die Zeit, FAZ, ORF,sowie in der Zeitschrfit Ost-Westliche Perspektiven.

Analysen zur unmittelbaren Vorgeschichte des 1. Weltkrieges gibt es in Vorkrieg 1913. Aus Politik und Zeitgeschichte 12/2013, online auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung.

 

Serbien

Politische Karte des Balkan 1832 von John Arrowsmith, Ausschnitt aus:

Europe, by J. Arrowsmith. London, pubd. 15 Feby. 1832 by J. Arrowsmith, 35 Essex Street, Strand.

Die komplette Karte gibt es auf Lunacommons, dieser Ausschnitt stammt von Wikimedia Commons.

Vergrößerung hier.

Informationen auf dem Bild:
Mit der Maus übers Bild fahren und klicken

 

 

Ethnographische bzw. Sprachenkarte des Balkan 1895 von Richard Andree, Times World Atlas, Wikimedia Commons

Vergrößerung hier.

Informationen auf dem Bild:
Mit der Maus übers Bild fahren und klicken

 

Balkan-Halbinsel 1905 aus: Bibliothek allgemeinen und praktischen Wissens für Militäranwärter Band I, 1905 / Deutsches Verlaghaus Bong & Co Berlin u.a.o. - Wikimedia Commons

Das rot eingegrenzte Territorium umfasst das damals noch osmanische Gebiet auf dem Balkam, das später 1913 in den Balkankriegen verloren ging (siehe unten). Nach 1878 war Bulgarien zweigeteilt, in ein nördliches Gebiet, das staatlich unabhängig wurde, aber dem Osmanischen Reich tributpflichtig blieb,und einen südlichen Teil, der osmanische Provinz blieb (Ost-Rumelien). Serbien wurde 1878 auf der Berliner Kongress ebenso wie Montenegro und Rumänien die Unabhängigkeit zugesprochen.

Vergrößerung hier.

 

Karte Österreich.Ungarns 1898, ohne weitere Herkunftsangaben Wikimedia Commons, vgl. auch auf Hic Leones.

Der ungarische Teil der habsburgischen Doppelmonarchie ist rot umrandet, südlich davon liegt die Provinz Bosnien-Herzegowina, die hier schon politisch integriert erscheint, obwohl dieser formelle Akt erst 1908 erfolgte. Bis dahin handelte es sich um ein besetztes Territorium.

Vergrößerung hier

Informationen auf dem Bild:
Mit der Maus übers Bild fahren und klicken

 

 

Karte mit den territorialen Verlusten des Osmanischen Reiches auf dem Balkan 1914, hergestellt von der Gesellschaft Osmanischer Flüchtlinge von Rumelien*  Wikimedia Commons

Diese “Rache” (Intikam) betitelte-Karte markiert dunkel die territorialen Verluste sowie die Städte in kleinen Kreisen, aus denen türkische bzw. muslimische Flüchtlinge geflohen waren. Mehr dazu von Nick Danforth, Georgetown Univ.

Trotz der Flucht blieben muslimische Minderheiten in den entstehenden Balkanstaaten bestehen, eine muslimishe Mehrheit sogar in Albanien.

*Rumelien ist die türkische Bezeichnung für den südlichen Balkan und leitet sich von der alten arabischen Bezeichnung für das Oströmische bzw. Byzantinische Reich “Rum” her.

Balkankrise 1908: Administrative Annexion Bosniens durch Österreich-Ungarn und Unabhängigkeitserklärung Bulgariens. Karikatur der französischen Zeitschrift Le Petit Journal vom 18.10.1918. Wikimedia Commons

Le réveil de la question d’Orient: La Bulgarie proclame son indépendance - L’Autriche prend la Bosnie et l’Herzegovine.

Das Erwachen der Orientfrage: Bulgarien erklärt seine Unabhängigkeit - Österreich nimmt sich Bosnien und Herzegowina.

Bosnien-Herzegowina 1878-1914

Auf dem Berliner Kongress 1878 wurde die “Orient-Krise” scheinbar gelöst. Gemälde von Anton von Werner, Wikimedia Commons, dort mit Identifizierung der Personen. Russland hatte 1876 den bulgarischen Aufstand gegen die Osmanen unterstützt und erhielt mit der Loslösung des nördlichen Bulgarien mehr Einfluss auf dem Balkan. Als Ausgleich erhielt Österreich das Recht zur Besetzung Bosniens und Herze- gowinas, zweier miteinander verbundener Provinzen, in denen es ebenfalls 1876 einen Aufstand gegen die osmanische Herrschaft gegeben hatte. (Vgl. Wikipedia und Die Welt der Habsburger).

Wie sich in jüngster Zeit im Bürgerkrieg des zerfallenden Jugoslawien zeigte, setzt sich die Bevölkerung aus katholischen Kroaten, muslimischen Bosniern und orthodoxen Serben zusammen (damals 18%, 39% und 43%). Unter der osmanischen und dann österreichischen Fremdherrschaft überwogen jedoch die Gemeinsamkeiten gegenüber dem Trennenden, zumal eine gemeinsame Sprache gesprochen wurde, die man bis in die jüngste Zeit nach einer Wortschöpfung der Linguisten Serbokroatisch nannte, und die sich nur durch Dialekte unterschied.  Unter dem Einfluss des kroatischen und serbischen Nationalismus gelten Kroatisch und Serbisch heute als zwei Sprachen. Aufgrund der Verwandtschaft der südslawischen Sprachen, zu denen man auch Slowenisch rechnete, wurden damals die Südslawen als eine ethnische Einheit gesehen und der nach dem 1. Weltkrieg gegründete Staat Jugoslawien (“Süd-Slawien”) realisierte diese Vorstellung. Nichtsdestotrotz gab es auch damals schon divergierende Vorstellungen zwischen Kroaten und Serben. Doch bis zum Ende des 1. Weltkrieges waren die Kroaten in der Habsburger Doppelmonarchie Untertanen der Ungarn, die Einwohner Bosnien-Herzegowinas unterlagen der österreichischen Herrschaft, während die Serben im benachbarten Königreich Serbien sowie in Montenegro unabhängig waren.

Der Zerfall des Osmanischen Reiches wurde 1877 durch die militärische Intervention Russlands zur Unterstützung der slawischen Unabhängigkeitsbestrebungen beschleunigt. Die militärische Niederlage der Türken hätte nach dem Vorfrieden von San Stefano den Verlust nahezu aller europäischen Besitzungen bedeutet. Wie schon im Krimkrieg 1853-56 wollten dies aber die westeuropäischen Mächte verhindern. Auf dem Berliner Kongress 1878, wo Reichskanzler Bismarck als “ehrlicher Makler” auftrat, wurde daher ein Kompromiss zwischen allen Interessen geschlossen. Russland erhielt territoriale Gewinne im Kaukasus, Griechenland, das bis dahin auf den Süden beschränkt war, weitere Gebiete im Norden, Zypern wurde an Großbritannien abgetreten, das dadurch seinen Weg nach Indien absicherte. Es gab die vollständige Unabhängigkeit für Serbien, Montenegro und Rumänien, eine faktische Unabhängigkeit für das nördliche Bulgarien, aber auf der anderen Seite keine Unabhängigkeit für Bosnien-Herzegowina, wo Österreich-Ungarn seine direkten Interessen tangiert sah. Die nationalen Freiheitsbewegungen und vor allem der Panslawismus bedrohten den Habsburger Vielvölkerstaat. Schon 1848 hatte die revolutionäre Welle, die von Paris ausgehend über Europa rollte, zu nationalen Unabhängigkeitsbestrebungen in Ungarn geführt. Die Antwort darauf waren, außer der militärischen Niederschlagung des Aufstands, die Gleichberechtigung Ungarns in der neu konstituierten Doppelmonarchie. Ein ungarischer Staat entstand mit dem Habsburger als König und herrschte nun seinerseits über nationale Minderheiten wie die Kroaten, so wie der österreichische Reichsteil z.B. über die Tschechen. Die Slawen waren die Verlierer. So schien es für die Regierung in Wien besser, noch eine zusätzliche slawische Provinz unter seine Fremdherrschaft aufzunehmen, als diese aus dem zerfallenden Osmanischen Reich unabhängig werden zu lassen, so wie Serbien, zumal Bosnien-Herzegowina sich an Serbien angeschlossen oder von ihm vereinnahmt worden wäre.

Die österreichische Besetzung Bosnien-Herzegowinas 1878 stieß jedoch auf erheblichen Widerstand (Okkupationsfeldzug) in der Bevölkerung und sollte eine dauerhafte Feindschaft gegenüber der Besatzungsmacht begründen.

Sarajewo-Attentat-Le_Petit_Journal

Attentat von Sarajewo in der französischen Zeitung Le Petit Journal, Beilage in der Sonntagsausgabe am 12.7.1914.

Wikimedia Commons

Bibliothèque Nationale de France / Gallica

Die kolorierte gezeichnete Szene zeigt auch die multikulturelle Realität der bosnischen Hauptstadt.

Wolfgang Geiger

Wird ergänzt...