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Das Wissen von der Welt
Geographische, astronomische, kartographische und navigatorische Kenntnisse

 

Interkultureller Wissenstransfer 2

 

Der Transfer antiken Wissens und seine Weiterentwicklung im Orient von der Spätantike bis zur Blütezeit des Islam

Teil 1

Karl Manitius, Einleitung zu: Des Claudius Ptolemäus Handbuch der Astronomie, Erster Band, aus dem Griechischen übersetzt und mit erklärenden Anmerkungen versehen von Karl Manitius, Leipzig (Teubner) 1912 - Auszug, S. IV-VIII

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Die Akademie in Alexandria ging ihrem Verfall entgegen, als im 5. Jahrhundert n. Chr. die von den nestorianischen Christen zu Antiochia und Edessa gegründeten Schulen der Sitz einer Gelehrsamkeit wurden, welche sich nicht bloß mit religiösen Streitfragen beschäftigte, sondern auch die Schätze der griechischen Literatur durch syrische Übersetzungen zugänglich machte. Von der Reichskirche verfolgt, fanden die Nestorianer zuvorkommende Aufnahme im Perserreich, wo sie zur Blüte der Akademien von Nisibis und Gandisapora wesentlich beitrugen. Namentlich unter Chosru I. Nuschirwan [Chosrau I. Anurschirwan] (532 —579), der selbst Freund der Philosophie eines Plato und Aristoteles war, entfalteten sie als Übersetzer der geschätztesten griechischen Werke in die Landessprache eine rege Tätigkeit.

Dieselbe wichtige Vermittlerrolle zu übernehmen war den syrischen Gelehrten beschieden, als die Araber sich zum [V:] herrschenden Volk im Orient aufwarfen. Das von dem Kalifen Almansur [Abu Dschafar Abd Allah ibn Muhammad ibn Ali al-Mansur] 762 n. Chr. gegründete Bagdad wurde nicht nur die politische Hauptstadt des Abbasidenreichs, sondern alsbald auch der Mittelpunkt aller wissenschaftlichen Bestrebungen. Dreihundert Gelehrte entsandte der vielgefeierte Enkel Almansurs, Harun Alraschid [Harun ar-Raschid] (786—809), nach den Schätzen griechischer Wissenschaft zu forschen, welche in den zerstörten Kulturstätten dem Untergang entronnen waren. So muß denn auf diesem Wege auch eine griechische Handschrift der Syntaxis [= Handbuch] nach Bagdad gelangt sein; denn es wird berichtet, daß das Lehrbuch des Ptolemäus auf Befehl des ebenso gelehrten wie tapferen Wesirs des Kalifen, des aus dem altpersischen Geschlechte der Barmakiden stammenden Jahja [Yahya ibn Khalid], dessen Vater Chalid [Khalid] den Bau von Bagdad geleitet hatte, in das Arabische übersetzt worden sei. Da aber diese Übertragung nicht den Beifall des gelehrten Auftraggebers fand, so habe er durch zwei nach Bagdad berufene hervorragende Gelehrte, Abu Hazan und Salmus, eine genaueren Anforderungen entsprechende Übersetzung veranstalten lassen.

Reiches Material zur Übertragung ins Arabische wußte der Kalif Almamun [Abu l-Abbas Abdallah al-Ma'mun ibn Harun ar-Raschid] (813—833) zu beschaffen, indem er an den von ihm besiegten byzantinischen Kaiser Michael II. den Stammler 823 unter den Friedensbedingungen die Forderung stellte, ihm griechische Manuskripte zu liefern oder wenigstens die Abschrift hervorragender Werke zu gestatten. An diesen Arbeiten, mit denen ein Kollegium von syrischen Gelehrten beauftragt war, nahm er persönlich teil. Eine im Jahre 827 auf seinen Befehl von einem ungenannten Verfasser gefertigte Almagestübersetzung ist in einer arabischen Handschrift der Universitätsbibliothek zu Leyden erhalten. Aber nicht nur für Verbreitung astronomischen Wissens trug Almamun Vorsorge, er beteiligte sich auch an den Beobachtungen der Astronomen, welche er an die mit den kostbarsten Instrumenten ausgerüsteten Sternwarten zu Bagdad und Damaskus berufen hatte. Besonders bevorzugt wurde von ihm in dieser Beziehung der in Bagdad [VI:] praktisch tätige Astronom Alfergani (Alfraganus) [Abu l-Abbas Ahmad ibn Muhammad ibn Kathir al-Farghani], dessen Rudimenta astronomica betiteltes Werk den Beweis liefert, wie bald die Übersetzung des Ptolemäus die Grundlage zu selbständiger literarischer Betätigung wurde.

Unter den aus dem Volke der Syrer hervorgegangenen Gelehrten, die sowohl die griechische als auch die arabische Sprache beherrschten, ist der berühmteste Honain ben Ishak aus Hira, Leibarzt des Kalifen Motawakkil [al-Mutawakkil 'alā 'llāh, Dscha'far ibn Mohammed] (847—861). Als Vorsitzendem eines Kollegiums von syrischen Gelehrten, denen die Herstellung arabischer Übersetzungen oblag, fiel ihm, dem sprachkundigen Beurteiler, die Aufgabe zu, die auf dem Umwege über das Syrische entstandenen Übertragungen durch nochmalige Vergleichung mit den griechischen Originalen zu verbessern. Auf diese Weise erklärt sich die überaus große Zahl der ihm zugeschriebenen Übersetzungen. Er müßte eine schier übermenschliche Arbeitskraft besessen haben, sollten sie alle neben 30 von ihm verfaßten selb- ständigen Werken wirklich von seiner Hand herrühren. Da ihm jedoch die Fachkenntnisse in Mathematik und Astronomie abgingen, so bedurften die von ihm redigierten Übertragungen noch einer sachverständigen Revision. Diese ließ ihnen Thabet ben Korrah [Thabit Ibn Korrah] angedeihen, wohl erst nach dem Tode von Honain, der, seines Glaubens Christ, von dem Bischof Theodosius wegen Religions- lästerung aus der Gemeinde gestoßen, im Jahre 873, wie vermutet wird, an Gift starb. 836 in Harran geboren, war Thabet erst in seiner Vaterstadt Geldwechsler, hatte sich aber dann in Bagdad so bedeutende Kenntnisse als Mathematiker und Astronom erworben, daß er am Hofe des Kalifen Almustadid [al-Mu'tadid bi-'llah] (892—902) bis zu seinem Tode 901 eine besondere Vertrauensstellung einnahm.

Nur eine einzige der erhaltenen arabischen Handschriften des Almagest, ein Kodex der Pariser Nationalbibliothek, bietet in der Überschrift den Namen des Übersetzers Honain ben Ishak in Verbindung mit dem Namen des sachkundigen Revisors Thabet ben Korrab. Die sonst noch bekannt gewordenen Handschriften nennen entweder überhaupt keinen Verfasser oder werden bestimmten Urhebern in nicht ganz [VII:]  zuverlässiger Weise zugeschrieben. Von den syrischen Übertragungen ist keine auf unsere Zeit gekommen; lediglich als Mittel zum Zweck ins Werk gesetzt, mußten sie der Vergessenheit anheimfallen, sobald der Almagest in arabischer Sprache zur Verfügung stand.

In die traurigste Zeit des Kalifats der Abbasiden, als während der langen Regierung des schwachen Muktadi [al-Muqtadir] (907-932) die Befehlshaber der Truppen unter dem Titel eines Emir al Umara sich immer mehr eine brutale Gewaltherrschaft anmaßten, fällt die Tätigkeit des größten Astronomen der Araber, des um 880 zu Batan in Mesopotamien geborenen Mohammed ben Geber Albatani (Albatenius) [Abu ‘Abd Allah Muhammad ibn Jabir ibn Sinan ar-Raqqi al-Harrani asch-Schabi’ al-Battani]. Veranlaßt durch die zahlreichen Korrektionen, die er als Beobachter auf drei Sternwarten - zuerst zu Araktea in Mesopotamien, dann zu Damaskus und zuletzt zu Antiochia - ermittelt hatte, verfaßte er seine berühmten Sonnen- und Mondtafeln, die uns noch unzugänglich sind. Die vollkommene Vertrautheit mit der griechischen Astronomie verrät sein erhaltenes Werk De motu stellarum.S) Der „Ptolemäus Arabiens" genannt, entfernte er sich zwar nirgends wesentlich von seinem großen Vorgänger, prüfte jedoch dessen Theorien sorgfältig und verbesserte sie vielfach. Den größten Ruhm brachte ihm die Entdeckung der Bewegung der Apsidenlinie der Sonnenbahn, welche sich Ptolemäus infolge mangelhafter Nach- prüfung des von Hipparch festgestellten Sonnenapogeums hatte entgehen lassen. Sein Tod fällt in das Jahr 928.

Im Jahre 946 bemächtigte sich der Emir al Umara Muiz [Amir al-Umara] aus dem persischen Geschlechte der Bujiden nach kurzem Kampfe der Hauptstadt und legte sich als erster Sultan von Bagdad den Beinamen „Addaulah“ (Verherrlicher des Reichs) zu. Obgleich die Nachfolge im Geschlechte der Bujiden nicht ohne schwere Kämpfe unter Brüdern und Verwandten vor sich ging, gelangten dennoch die Wissenschaften in Bagdad zu neuer Blüte. So ließ Scheref Addaulah (983—89) im Garten seines Palastes speziell zu Planetenbeobach- tungen kostbare Instrumente von ungeheuren Dimensionen aufstellen [VIII:] und berief zum Vorsteher der neuen Sternwarte den 939 in Buzdschan geborenen Perser Abul Wefa [Abu l-Wafa Muhammad ibn Muhammad ibn Yahya ibn Isma'il ibn al-'Abbas al-Buzdschani], der die an ihn gestellten Anforderungen bis zu seinem Tode (998) rühmlichst erfüllte. Dieser vor allem auf dem Gebiete der Mathematik überaus fruchtbare Schriftsteller wird durch sein nur in Handschriften vorliegendes Werk Almagestum sive systema astronomicum entschieden unter die verdientesten Astronomen dieser Periode eingereiht.

Mit ihm ist die Reihe der asiatischen Astronomen abgeschlossen. Sozusagen das Fazit der 200 jährigen Entwicklung der arabischen Astronomie zog im Heimatlande des Ptolemäus Ibn Junis [Abu al-Hasan 'Ali ibn 'Abd al-Rahman ibn Ahmad ibn Yunus al-Sadafi al-Misri], nach Albatani der zweitgrößte Astronom der Araber. Die Stätte seines Wirkens war Kairo, der 972 von Muiz gegründete Herrschersitz des ägyptischen Kalifats der Fatimiden. Als Abkömmling einer edlen arabischen Familie um 950 in Ägypten geboren, zog er schon als Knabe durch außergewöhnliche Talente die Aufmerksamkeit des Sohnes des Muiz, des nachmaligen Kalifen Aziz, auf sich und widmete sich auf dessen Betreiben der Himmelskunde. Der glänzende Erfolg seiner Studien erwarb ihm alsbald die Gunst der Kalifen Aziz [Abu Mansur al-ʿAziz bi-llah Nizar ibn al-Muʿizz] (975—96) und Hakem [Al-Hakim bi-amri ʾllah, Abu ʿAli al-Mansur] (996 —1021) in so hohem Grade, daß ihm auf dem Plateau des Berges Aljoref über der sog. Elefantenmoschee mit fürstlichem Aufwand eine Sternwarte erbaut wurde. Hierzu kam die Gründung einer großartigen Bibliothek, welche die altalexandrinische übertreffen sollte. Die ihm gebotenen Hilfsmittel bis zu seinem Tode (1008) unermüdlich tätig ausnutzend, gründete er auf zahlreiche eigene sowie frühere Beobachtungen das große Werk, welches er seinem Gönner zu Ehren die „Hakemitischen Tafeln" benannte. Dieses allen späteren Astronomen des Orients als unfehlbare Autorität geltende Werk ist zu Anfang des vorigen Jahrhunderts in einer arabischen Handschrift wieder aufgefunden und ins Französische übersetzt worden.

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Wikipedia, Liste der Kalifen

Das ganze Buch steht online bei www.archive.org zur Verfügung: hier.

Diese prägnante Darstellung des Wissenstransfers und der Förderung der Wissenschaft im islamischen Orient ist trotz umfangreicher Forschungen seither nach wie vor recht aussagekräftig. Zur einschlägigen Literatur in jüngerer Zeit siehe die bibliographische Orientierung auf der Seite Interkulturelle Geschichte der Wissenschaft von Historia Interculturalis.

 

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